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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
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Augenblick bestürzter Stille, dann war ganz Pellestrina auf den Beinen. Türen flogen auf, und Männer rannten in die Nacht hinaus; einige hatten ihre Hosen kurzerhand über den Pyjama gezogen, andere waren nur im Schlafanzug, ein paar hatten sich die Zeit genommen, sich anzuziehen, zwei waren splitternackt, was aber niemand weiter beachtete, so sehr dachten alle nur daran, ihre Boote in Sicherheit zu bringen. Die Besitzer der beiden Boote, die rechts und links von der Squallus lagen, sprangen fast gleichzeitig von der Mole aufs Deck, obwohl der eine aus dem Bett der Frau seines Vetters hatte springen müssen und von doppelt so weit herkam wie der andere. Beide rissen die Feuerlöscher aus ihren Halterungen an Deck und begannen die Flammen zu besprühen, die dem brennenden Öl gefolgt waren.
    Die Besitzer der Boote, die weiter weg von dem nun leeren Liegeplatz der Squallus auf dem Wasser dümpelten, ließen ihre Motoren an und entfernten sich eiligst von der Brandstelle. Einer von ihnen vergaß in seiner Panik, die Leine loszuwerfen, und riß ein meterlanges Holzstück aus der Reling seines Boots. Doch auch noch als er zurückblickte und an seinem vormaligen Liegeplatz das zersplitterte Holz im Wasser treiben sah, fuhr er weiter, bis er mindestens hundert Meter fort vom Land und den Flammen war.
    Während er noch zurückschaute, wurden diese Flammen auf den Decks der anderen Boote kleiner. Zwei weitere Männer, jeder mit einem Feuerlöscher, kamen aus den umliegenden Häusern gerannt, sprangen auf das eine Boot und begannen in die Flammen zu spritzen, die schnell unter Kontrolle und schließlich erstickt waren. Ungefähr im selben Moment gelang es auch dem Besitzer des anderen Bootes, das nicht soviel Kraftstoff abbekommen hatte, den Brand unter Kontrolle zu bringen und mit dickem weißem Schaum zu ersticken. Noch lange nachdem von den Flammen nichts mehr zu sehen war, sprühte er immer noch hin und her, hin und her, bis der Schaum alle war; dann erst stellte er den Feuerlöscher aufs Deck.
    Inzwischen drängten sich über hundert Menschen auf der Mole und versuchten sich schreiend zu verständigen: mit denen, die ihre Boote aus dem Hafen hatten bringen können; mit denen, die auf ihren Booten über die Flammen gesiegt hatten; und mit denen, die um sie herum standen.
    Alle brachten ihr Entsetzen zum Ausdruck, ihre Sorge, und alle stellten bange Fragen nach den möglichen Ursachen des Brandes.
    Die Frage jedoch, die alle zum Schweigen brachte, als breitete sich Stummheit um sie herum aus wie eine Infektion um eine ungereinigte Wunde, diese Frage stellte als erste Chiara Petulli, Giulio Bottins Nachbarin. Sie stand in der ersten Reihe, kaum zwei Meter von dem großen Eisenpolier entfernt, von dem noch das versengte Tau herunterhing, das die Squallus an ihrem Liegeplatz festgehalten hatte. Sie wandte sich an die neben ihr stehende Frau, die Witwe eines Fischers, der erst vor einem Jahr tödlich verunglückt war, und fragte: »Wo ist Giulio?«
    Die Witwe blickte sich um. Dann wiederholte sie die Frage. Jemand, der neben ihr stand, griff die Frage auf und gab sie weiter, in Sekundenschnelle hatte sie sich durch die ganze Menge fortgepflanzt, war aber unbeantwortet geblieben.
    »Und Marco?« fügte Chiara Petulli hinzu. Diesmal hörten alle die Frage zugleich. Da lag das Boot im seichten Wasser, kaum daß die versengten Masten noch herausragten, doch von Giulio Bottin war nichts zu sehen, auch nicht von seinem Sohn Marco, achtzehn Jahre alt und schon Teileigner der Squallus, die an diesem plötzlich klammen Frühlingsmorgen verbrannt und leblos auf dem Grund des Hafens von Pellestrina lag.

2
    N un begann das Geraune, denn alle versuchten sich zu erinnern, wann sie Giulio oder Marco zuletzt gesehen hatten. Giulio spielte gewöhnlich nach dem Abendessen Karten in der Bar; hatte ihn gestern abend jemand gesehen? Marco hatte eine Freundin in San Pietro in Volta, aber der Bruder dieses Mädchens stand mit in der Menge und sagte, sie sei mit ihren Schwestern auf dem Lido ins Kino gegangen. Niemandem fiel eine Frau ein, mit der Giulio Bottin hätte Zusammensein können. Jemand kam auf die Idee, einen Blick in den Hof neben Bottins Haus zu werfen; beide Autos standen dort, aber im Haus war es dunkel.
    Ein seltsames Widerstreben, so etwas wie Takt im Angesicht gegebener Möglichkeiten, hielt die Menge von Spekulationen darüber ab, wo sie wohl sein mochten. Renzo Marolo, der schon seit über dreißig Jahren im Haus nebenan
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