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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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Projekt?«
    Rossi blickte auf seine rechte Hand und begann, mit dem Daumen angefangen, die Kollegen an den Fingern abzuzählen. »Acht, wenn ich keinen vergessen habe.«
    »Acht«, wiederholte Brunetti. Er riß sich von den Berechnungen los, die er im Geiste angestellt hatte, und fragte: »Was hat das nun alles zu bedeuten? Speziell für mich?«
    Rossis Antwort kam prompt. »Wenn wir für eine Wohnung keine Unterlagen haben, bitten wir als erstes den Eigentümer, sie uns zur Verfügung zu stellen. Aber hierin finde ich nichts Geeignetes.« Er zeigte auf die dünne Mappe. »Sie haben nur die Kaufurkunde, also müssen wir annehmen, daß Sie vom Vorbesitzer keine Unterlagen erhalten haben, die sich auf den ursprünglichen Bau beziehen.« Ehe Brunetti ihn unterbrechen konnte, fuhr Rossi rasch fort: »Das heißt, sie sind entweder verlorengegangen, was voraussetzt, daß sie einmal existiert haben, oder eben nicht. Existiert haben, meine ich.« Er sah zu Brunetti hinüber, der schwieg, und fügte hinzu: »Wenn sie aber verlorengegangen sind und Sie sagen, Sie hätten nie welche gehabt, dann müssen sie wohl bei einer der städtischen Behörden verlorengegangen sein.«
    »Was würden Sie in diesem Fall denn unternehmen, um sie wiederzufinden?« fragte Brunetti.
    »Oh«, begann Rossi, »so einfach ist das nicht. Wir sind nicht verpflichtet, Kopien dieser Dokumente aufzubewahren. Das Zivilrecht stellt klar, daß es die Aufgabe dessen ist, dem die in Frage stehende Liegenschaft gehört. Ohne eigene Kopien können Sie nicht bemängeln, daß die unseren verlorengegangen sind, wenn Sie verstehen, was ich meine«, sagte er mit einem erneuten Lächeln. »Und es ist uns nicht möglich, eine Suche nach den Dokumenten zu veranlassen, da wir es uns nicht leisten können, Arbeitskräfte für eine Suchaktion abzustellen, die sich als vergeblich erweisen könnte.« Als er Brunettis Gesicht sah, erklärte er: »Weil es ja sein könnte, daß es die Dokumente gar nicht gibt, verstehen Sie?«
    Brunetti biß sich auf die Unterlippe, dann fragte er: »Und wenn sie nun nicht verlorengegangen sind, sondern einfach nie existiert haben?«
    Rossi senkte den Blick und drückte an seiner Armbanduhr herum, bis sie genau auf der Mitte des Handgelenks saß. »In diesem Fall, Signore«, erklärte er endlich, indem er zu Brunetti aufblickte, »ist es so, daß nie eine Genehmigung erteilt und die fertige Arbeit nie abgenommen wurde.«
    »Das ist durchaus möglich, nehme ich an?« sagte Brunetti im Frageton. »Es ist ja nach dem Krieg unglaublich viel gebaut worden.«
    »O ja«, bestätigte Rossi mit der gespielten Bescheidenheit dessen, der sein ganzes Arbeitsleben genau mit solchen Dingen zu tun hat. »Aber die meisten dieser Projekte, egal ob kleine Restaurierungsarbeiten oder ausgiebige Umbauten, wurden nachträglich genehmigt und sind somit legal, jedenfalls für uns. Das Problem bei Ihnen ist, daß es auch keine nachträgliche Genehmigung gibt«, erklärte er mit einer Handbewegung, die alle die anstößigen Wände, Decken und Fußböden erfaßte.
    »Wenn ich meine Frage wiederholen darf, Signor Rossi«, sagte Brunetti mit einer geradezu olympischen Gelassenheit in der Stimme, »was hat das nun alles für mich und meine Wohnung zu bedeuten?«
    »Ich bin bedauerlicherweise nicht befugt, Ihnen diese Frage zu beantworten, Signore«, sagte Rossi, indem er Brunetti die Mappe zurückgab. Er bückte sich, nahm seine Aktentasche vom Boden und erhob sich. »Meine Aufgabe ist es nur, die Wohnungsbesitzer aufzusuchen und festzustellen, ob die fehlenden Papiere sich in ihrem Besitz befinden.« Sein Gesicht wurde ernst, und Brunetti glaubte, ehrliche Enttäuschung darin zu erkennen. »Es betrübt mich, erfahren zu müssen, daß sich in Ihrem Besitz keine befinden.«
    Brunetti stand auf. »Und was jetzt?«
    »Das hängt vom Katasterausschuß ab«, sagte Rossi mit einem Schritt zur Tür hin.
    Brunetti machte eine Bewegung nach links, womit er sich Rossi zwar nicht direkt in den Weg stellte, aber eindeutig ein Hindernis zwischen dem jungen Mann und der Tür bildete. »Sie meinen also, das Stockwerk unter uns wurde im neunzehnten Jahrhundert hinzugefügt. Aber wenn das später war, etwa zur gleichen Zeit wie diese Wohnung hier, würde das etwas ändern?« Brunetti konnte sich noch so sehr bemühen, es gelang ihm nicht, die blanke Hoffnung aus seiner Stimme herauszuhalten.
    Rossi überlegte lange, dann antwortete er schließlich in einem Ton der mustergültigen Umsicht
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