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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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könnte.« Abgesehen davon verstand er auch nicht, was einen Beamten dieser Behörde umtrieb, an einem Samstag bei ihm vorstellig zu werden.
    Rossi blickte die Mappe auf seinem Schoß an, dann Brunetti, der plötzlich erstaunt feststellte, wie lang und dunkel die Wimpern des jungen Mannes waren, fast wie bei einer Frau. »Aha, aha«, sagte Rossi nickend und senkte den Blick wieder auf seine Mappe, die er dann aufklappte, um eine andere, kleinere herauszuziehen, kurz die Aufschrift zu betrachten und sie Brunetti mit den Worten hinüberzureichen: »Vielleicht macht das die Sache klarer.« Bevor er die Mappe, die noch auf seinem Schoß lag, wieder zuklappte, schob er sorgsam die Blätter darin übereinander.
    Brunetti öffnete die kleinere Mappe und nahm die Papiere heraus. Als er die kleine Schrift sah, griff er nach links hinüber und nahm sich seine Brille. Oben auf dem ersten Blatt stand die Adresse des Hauses, darunter waren Grundrißpläne der Wohnungen unter Brunettis eigener zu sehen. Das nächste Blatt war ein Verzeichnis früherer Besitzer dieser Räumlichkeiten, beginnend mit den Lagerräumen im Erdgeschoß. Auf den nächsten beiden waren anscheinend alle Restaurierungsarbeiten, die seit 1947 in dem Gebäude vorgenommen worden waren, in Kurzform festgehalten und die Daten aufgeführt, zu denen bestimmte Genehmigungen beantragt und erteilt worden waren, sowie das Datum, an dem die Arbeiten tatsächlich begonnen hatten, und schließlich das Datum, an dem die fertige Arbeit abgenommen worden war. Brunettis Wohnung wurde nirgendwo erwähnt, woraus er schloß, daß die betreffenden Informationen in den Papieren sein mußten, die Rossi noch auf dem Schoß liegen hatte.
    Soweit für Brunetti ersichtlich, war die Wohnung unter der seinen zuletzt 1977 restauriert worden, als die derzeitigen Besitzer einzogen. Zuletzt offiziell restauriert, heißt das. Sie hatten schon öfter bei den Calistas zu Abend gegessen und sich an dem fast völlig freien Blick erfreut, den man aus ihren Wohnzimmerfenstern hatte, aber die in dem Plan eingezeichneten Fenster sahen doch eher klein aus, und zudem waren es offenbar nur vier, nicht sechs. Er sah in dem Plan auch nirgendwo die kleine Gästetoilette links neben der Eingangsdiele. Wie kann das nur angehen? überlegte er, aber Rossi schien ihm nicht der Mann zu sein, den man so etwas fragen sollte. Je weniger das Ufficio Catasto über Um- und Anbauten in diesem Gebäude wußte, desto besser für alle, die darin wohnten.
    Er sah zu Rossi hinüber und fragte: »Diese Unterlagen gehen ja weit zurück. Haben Sie eine Ahnung, wie alt das Haus ist?«
    Rossi schüttelte den Kopf. »So genau nicht. Aber aus der Lage der Fenster im Erdgeschoß würde ich schließen, daß der ursprüngliche Bau frühestens im späten fünfzehnten Jahrhundert errichtet wurde.« Er hielt kurz inne und überlegte, bevor er hinzufügte: »Und das oberste Geschoß wurde nach meiner Schätzung im frühen neunzehnten Jahrhundert hinzugefügt.«
    Brunetti sah erstaunt von den Plänen auf. »Nein, viel später. Nach dem Krieg.« Und als Rossi nichts darauf sagte, ergänzte er: »Dem Zweiten Weltkrieg.«
    Als Rossi noch immer nicht darauf einging, fragte Brunetti: »Würden Sie das nicht bestätigen?«
    Nach kurzem Zögern sagte Rossi: »Ich sprach vom obersten Stockwerk.«
    »Ich auch«, versetzte Brunetti scharf, denn allmählich ärgerte es ihn, daß dieser Vertreter einer Behörde, die sich den ganzen Tag mit Baugenehmigungen befaßte, etwas so Simples nicht begriff. Dann fuhr er in etwas sanfterem Ton fort: »Als ich die Wohnung gekauft habe, ging ich davon aus, daß sie nach dem letzten Krieg hinzugefügt wurde, nicht im neunzehnten Jahrhundert.«
    Statt einer Antwort deutete Rossi mit einer Kopfbewegung auf die Papiere in Brunettis Hand. »Vielleicht sollten Sie sich die letzte Seite einmal etwas genauer ansehen, Signor Brunetti.«
    Verwundert las Brunetti die letzten Absätze noch einmal durch, aber soweit er verstand, betrafen sie immer noch nur die beiden Wohnungen unter ihm. »Ich weiß nicht recht, was ich da Ihrer Meinung nach sehen soll, Signor Rossi«, sagte er, indem er aufblickte und seine Brille abnahm. »Das hier betrifft nur die Wohnungen unter uns, nicht unsere. Von diesem Stockwerk hier ist gar nicht die Rede.« Er drehte das Blatt um, ob auf der Rückseite noch etwas stand, aber sie war leer.
    »Deswegen bin ich hier«, sagte Rossi und richtete sich bei diesen Worten in seinem Sessel ein wenig auf.
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