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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
Autoren: Tilman Janus
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Couch hin und her. Wofür hatte ich gelebt seitdem? Wofür arbeitete ich? Es gab nichts, was mir das Verlorene ersetzen konnte. Nicht einmal die von Mutter verordnete Versöhnung. Das unschuldige Paradies unserer Jugend war verspielt. Und eine anbefohlene Artigkeit mit Gesprächen über Allgemeinplätze, eine künstliche Unschuld, die mich krank machen oder umbringen würde, wollte ich nicht. Ich fühlte mich wie ein Tiger, den man in ein Goldfischglas gesperrt hatte. Es war die Hölle.

5. Die Kapelle
     
    Bin ich mit dir, so lässt du mein Herz erhoben sein.
    Umarmst du mich nicht, dann liegt mein Herz still.
    Erregend ist,
    wünschst du meine Schenkel zu betasten, meine Verwirrung.
    Gehst du vor Hunger, vor Durst?
    Nimm dir von mir,
    Überfluss ist für dich, Überfluss, den ich besitze.
    Herrlich ist der Tag,
    herrlich, wenn ich umarmt werde!
    Am Tag darauf begann die Exkursion nach Oberägypten. Karím hatte dafür gesorgt, dass Ascan mitfahren durfte. Die Hölle der Artigkeit hatte also bereits begonnen.
    In einem klimatisierten Bus, der in der bäuerlichen Umgebung wie ein Fremdkörper wirkte, fuhren wir dem Nil entgegen, durch die grüne, fruchtbare Flussebene. Über den Aussaaten hockten Schwärme weißer Kuhreiher. Ab und zu unterbrachen stadtartige Ansiedlungen das Grün der Felder. Weithin leuchteten die hellen Galabiyas, die lockeren Gewänder der Bauern. Jungen hüteten Schafe und Ziegen. Fellachen-Frauen wuschen Blechgeschirr und Kleider in den trüben Bewässerungskanälen. Die dunklen Büffel standen in den gleichen, parasitenverseuchten Kanälen bis zum Hals im Wasser, umtobt von planschenden, schreienden Kindern. Rinder und Esel beförderten das Flusswasser mit Hilfe großer Schaufelräder auf das regenlose Land, und an vielen Feldrändern drehten sogar junge Mädchen endlos die Wasserschöpfröhren.
    Ascan saß neben mir, auf dem Fensterplatz. Karím hatte als Exkursionsleiter seinen Platz vorne beim Fahrer. Die anderen Kolloquiumsteilnehmer waren mit sich selbst beschäftigt. Wie sollte ich meine Sehnsucht nach Ascan bezähmen? Wie sollte ich ruhig so dicht neben ihm sitzen, stundenlang, ohne ihn zu berühren?
    Ich weihte ihn ein in das so gegensätzliche Land Ägypten, die Heimat seiner Mutter. Ich zeigte ihm die Herrenhäuser mit den üppig blühenden Gärten und die zusammengedrängten, unter Dattelpalmen geduckten, ärmlichen Hütten aus schwarzen, ungebrannten Nilschlammziegeln, gedeckt mit Palmblättern, Zuckerrohrstroh, Taubenkäfigen und Gerümpel. Dort hausten Rinder, Dromedare, Schafe, Ziegen, Esel und Menschen in denselben dunklen Räumen. Wenn der Bus hielt, drängten sich Kinder heran und bettelten um Bonbons und Münzen.
    Mittags hielten wir Rast in Minia, einer Provinzstadt im Baumwollanbaugebiet. Ich erzählte Ascan vom nahe gelegenen Achet-Aton, der Sonnenstadt des ersten Monotheisten Echnaton, und ich erklärte ihm die gesamte übrige Götterwelt des alten Ägypten. Karím saß neben uns und warf mir einen aufmunternden Blick zu, den ich ignorierte.
    Über Assiut fuhren wir weiter nach Süden. In der Hitze des Nachmittags ruhten die Tiere an den Feldrändern aus, und die Menschen hielten Siesta, getrennt nach Frauen und Männern.
    Wiederum Stunden später sank die glühende Märzsonne tiefer. Die Palmen warfen lange Schatten. Ziegen wurden heimgetrieben. Dromedare, beladen mit Zuckerrohr, schwankten über die Straßen. Die kahlen Wüstengebirge, die das fruchtbare Niltal umklammert hielten, schienen näher heranzurücken. Als es ganz dunkel geworden war, leuchtete der warme Schein von Petroleumlampen vor den Zelten schwatzender Männer.
    Nach zwölfstündiger Fahrt erreichten wir endlich ein Hotel am Wüstenrand bei Nag Hamadi. Kaum waren wir ausgestiegen, bemerkte ich plötzlich, dass Ascan sehr bleich aussah. Als an der Rezeption die Schlüssel verteilt wurden, zitterte er, und im Gang zu den Zimmern schienen ihn Krämpfe zu überfallen.
    »Was ist los?«, fragte ich besorgt. Mein Ärger darüber, dass Karím mich bei der Verteilung zusammen mit Ascan in ein Doppelzimmer verfrachtet hatte, trat in den Hintergrund.
    »Jemand hat mich vergiftet«, ächzte er. »Hagen! Ich sterbe! Was ist das bloß?«
    »Bestimmt nur die Rache des Pharaos . Ich geb dir gleich etwas aus meiner Reiseapotheke. Komm!«
    »Verdammt! Ich brauche sofort eine Toilette. Sofort! Herr Gott zum Teufel! Ich schaff’s nicht mehr.« Er brach in die Knie und versuchte, sein Gesicht vor Scham in der Armbeuge zu
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