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Bruder Cadfaels Buße

Bruder Cadfaels Buße

Titel: Bruder Cadfaels Buße
Autoren: Ellis Peters
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Pflanzen hatten bereits ihr Laub verloren, wie dürre Finger krallten sich ihre dunklen Stengel an das, was vom Sommer noch geblieben war, und alle Düfte hatten sich zu einem Geruch von Alter und Niedergang vereint. Zwar war er noch lieblich, doch nahm man darin bereits den süßlichen und fauligen Hauch des Verfalls wahr, der nach der Ernte einsetzt.
    Noch war es nicht sehr kalt. In der milden Schwermut des November hing noch ein wenig Gold, teils im fallenden Laub, teils in dem bernsteinfarbenen Licht der schrägstehenden Sonnenstrahlen. Längst lag das Heu in der Scheuer, waren alle Äpfel geerntet und gelagert, alles Getreide gemahlen, und auf den Stoppelfeldern weideten die Schafe. Es war die rechte Zeit, innezuhalten, um sich zu blicken und zu überlegen, ob man alles bedacht und alle Zäune geflickt hatte, damit der Winter kommen konnte.
    Noch nie zuvor war sich Cadfael jener besonderen Beschaffenheit und Aufgabe des Monats November so sehr bewußt gewesen, seiner Reife und gedämpften Trauer. Das Jahr bildet keine gerade Linie durch die Jahreszeiten, sondern verläuft in einem Kreis, der die Welt und den Menschen in die Finsternis und zu dem Geheimnis zurückbringt, wo beide ihren Ursprung haben und eine neue Zeit der Saat und eine neue Geschlechterfolge entsteht. Alte Männer, dachte Cadfael, glauben zwar an jenen neuen Anfang, erleben aber das Ende. Vielleicht gemahnt mich Gott jetzt daran, daß ich mich meinem November nähere. Nun, warum es bedauern? Der November hat seine Schönheit. Die Ernte ist eingebracht und das Saatgut für das nächste Jahr liegt schon bereit. Es gibt keinen Grund, sich darüber zu grämen, daß man selbst nicht bleiben und es aussäen darf. Ein anderer wird sich darum kümmern. So finde dich damit ab, in die Erde einzugehen, zusammen mit den feuchten, zarten, zerfallenden Blättern, die Spinnweben und der Haut sehr alter Männer ähneln, auf der sich Flecken von der Farbe sich golden, zersetzenden Laubes ausbreiten. Der Spätherbst zeigt uns die Farben des Sonnenuntergangs: der eine ist der Abschied des Tages und der andere der Abschluß des Jahres. Bedeutet er zugleich den Abschied eines Menschenlebens? Sofern es in solch goldenem Zauber aufhört, ist das kein schlechtes Ende.
    Hugh trat aus dem Haus des Abtes. Er wollte seinem Freund Cadfael unbedingt mitteilen, was er erfahren hatte, zögerte aber, war ihm doch klar, daß diese Nachricht nichts als Besorgnis auslösen würde. Er fand den Mönch reglos inmitten seines geliebten kleinen Reiches stehen, und es kam ihm vor, als halte dieser den Blick eher in sein Inneres gerichtet als auf die in Herbstfarben glühenden Pflanzen um ihn herum. Erst als ihm Hugh eine Hand auf die Schulter legte, kehrte er wieder in die Außenwelt zurück, und es war deutlich zu sehen, daß er aus einer geheimnisvollen Tiefe auftauchte, die in der Mitte seines Wesens verborgen lag.
    »Gott segne dein Werk«, sagte Hugh und faßte ihn am Arm, »sofern du heute nachmittag arbeitest. Ich dachte schon, du hättest hier Wurzeln geschlagen.«
    »Ich habe über den Zyklus des Menschenlebens, die Jahreszeiten und die Stunden des Tages nachgedacht«, sagte Cadfael in beinah entschuldigendem Ton. »Ich hörte dich nicht kommen. Allerdings hatte ich auch nicht damit gerechnet, dich heute zu sehen.«
    »Das wäre auch nicht der Fall, wenn Robert Bossus Kundschafter etwas weniger geschäftig gewesen wären.
    Komm mit herein«, sagte Hugh, »damit ich dir berichte, was sich zusammenbraut. Die Sache betrifft jeden braven Kirchenmann, und ich habe sie soeben deinem Abt Radulfus mitgeteilt. Ein Punkt aber geht dich persönlich an, und mich ebenfalls«, gestand er, während er mit einem tiefen Seufzer die Tür zu Cadfaels Arbeitsschuppen aufstieß.
    »Du hast Nachrichten von Graf Leicester bekommen?« Cadfael sah ihn von der Schwelle aus nachdenklich an. »Wenn Robert Bossu dir Kunde zukommen läßt, muß er große Stücke auf dich halten. Was ist es diesmal?«
    »Es geht weniger um ihn selbst, auch wenn er in Kürze bis zum Hals in der Sache stecken dürfte, ganz gleich, ob er sie zu der seinen macht oder nicht. Den ersten Schritt haben die Bischöfe getan, doch wird man bald Stimmen wie die Leicesters vernehmen, die Partei für die eine oder die andere Seite ergreifen.«
    Hugh nahm mit Cadfael Platz unter den herabhängenden Büscheln zum Trocknen aufgehängter duftender Krauter, die im Luftzug von der Tür her leicht schwankten. Er erzählte ihm von der geplanten
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