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Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)

Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)

Titel: Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Autoren: Peter Ames Carlin
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zuverlässigen Eindruck. Sie schienen sichere Arbeitsplätze zu haben, ein regelmäßiges Einkommen und zeigten keinerlei Anzeichen von Gemütskrankheiten. »Ich liebte meine Großeltern ungemein, aber sie waren absolute Außenseiter«, sagt er. »Da kam so etwas wie Schuld und Scham in mir auf, aber ich fühlte mich auch deshalb schlecht, weil ich mich für sie schämte.«
    Im Herbst 1956 war Bruce alt genug, um eingeschult zu werden. Adele meldete ihn an der katholischen St.-Rose-of-Lima-Schule an. Falls Doug eine Meinung dazu hatte, behielt er sie für sich. Fred und vor allem Alice waren hingegen der Ansicht, dass Bruce nicht zur Schule gehen müsse, wenn er nicht wolle. Fred war nicht lange zur Schule gegangen, und Doug auch nicht. Warum viel Aufhebens um eine Ausbildung machen, die Bruce gar nicht brauchte? Adele, deren Vater darauf bestanden hatte, dass seine Töchter auf jeden Fall einen High-schoolabschluss machten, wollte davon nichts wissen. »Natürlich musste er zur Schule gehen«, sagt sie. »Aber sie [Fred und Alice] wollten es verhindern.« Da sie sich, was den Einfluss auf ihren Sohn anbelangte, ohnehin schon an den Rand gedrängt fühlte und es mehr als satt hatte, in einem derart chaotischen Haushalt auf verlorenem Posten die pflichtbewusste Ehefrau zu spielen, nahm Adele das Heft in die Hand und sorgte für klare Verhältnisse. »Ich sagte meinem Mann: ›Wir müssen hier raus!‹« Falls Doug sich auf eine Diskussion darüber eingelassen haben sollte, muss er sich am Ende wohl geschlagen gegeben haben. Denn als sie erfuhren, dass Verwandte aus einer Maisonettewohnung an der nur dreieinhalb Blocks von Freds und Alices Haus entfernt liegenden 39 ½ Institute Street auszogen, mieten sie sich sofort dort ein.
    Heute weiß Bruce, dass das für seine Mutter die einzige Möglichkeit war, mit ihrer Familie in einigermaßen normalen Verhältnissen zu leben. Es dauerte allerdings eine ganze Weile, bis er das verstehen konnte. Für ihn als Sechsjährigen sei die plötzliche Veränderung verheerend gewesen, sagt er. »Es war grausam, weil damals meine Großeltern de facto zu meinen Eltern geworden waren. Man riss mich im Grunde genommen aus meinem Elternhaus heraus.« Immerhin sah Bruce seine Großeltern weiterhin regelmäßig, da sie nach der Schule auf ihn aufpassten.
    Die neue Wohnung, die sich über zwei Etagen erstreckte, war deutlich komfortabler als das Haus der Großeltern. »Wir hatten sogar eine Heizung«, sagt Bruce, der sich das größere der beiden Zimmer mit seiner Schwester Ginny teilte. Es gab jedoch keinen Warmwasserboiler, weshalb Spülen und vor allem Baden relativ umständlich waren. Letzteres, so Bruce, fiel häufig aus.
    Es lag wohl nicht zuletzt an den gravierenden Veränderungen der häuslichen und familiären Situation, dass Bruce zur Zeit seiner Einschulung ein sehr empfindliches und trotziges Kind war. Die strengen Regeln an der Nonnenschule und die Anforderungen, die dort an ihn gestellt wurden, wirkten zunächst verwirrend auf ihn, später frustrierten sie ihn. »Wenn du in einer Familie aufwächst, in der niemand arbeiten geht und auch niemand von der Arbeit heimkommt, spielt Zeit für dich keine Rolle«, sagt Bruce. »Wenn dann jemand kommt, etwas von dir verlangt und sagt, du hast zwanzig Minuten Zeit dafür, macht dich das richtig wütend, weil du gar nicht genau weißt, was zwanzig Minuten überhaupt bedeuten.« Ebenso wenig wusste Bruce, wie er im Unterricht still sitzen, sich auf die Ausführungen der Nonnen konzentrieren oder deren verhärmte Gesichter und zeigestockschwingenden Hände als etwas anderes begreifen sollte als das irdische Abbild eines zürnenden Gottes.
    Bruce versuchte so gut es ging, den Anforderungen gerecht zu werden. Jeden Morgen zog er seine Schuluniform an und lief an der Hand seiner Mutter stolz zur Schule. »Immer ging er erhobenen Hauptes hinein, und ich dachte: ›Wunderbar‹«, erzählt Adele. Doch wie kam er wirklich in der Schule klar? Um sich selbst ein Bild davon zu machen, ging Adele während der Mittagspause dorthin und beobachtete ihren Sohn auf dem Schulhof. »Da stand er, ganz allein an den Zaun gelehnt. Er spielte mit niemandem. Es war so traurig.« Für Bruce selbst entwickelte sich damals sein Hang zum Einzelgängertum auf ebenso natürliche Weise wie der Wunsch, ständig im Mittelpunkt zu stehen.
    »Es ist ein menschliches Bedürfnis, zu einer Gemeinschaft zu gehören, doch mir ist das nie leichtgefallen«, sagt er. »Ich war ein
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