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Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)

Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)

Titel: Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Autoren: Peter Ames Carlin
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keine Ahnung, am besten fragen wir mal den Boss.‹ Es ist also eine Bezeichnung, wie sie an jeder Arbeitsstelle verwendet wird.«
    Heißt das also, dass »The Boss« eigentlich völlig unspezifisch ist und keinerlei Bedeutung hat? Dass jeder, Anwesende eingeschlossen, ihn so nennen darf? Wann immer und wo immer?
    Bruce schaut verdutzt.
    »Nun, wenn Sie mich so nennen würden, wäre das lächerlich«, sagt er. »Abgesehen davon wäre es auch nicht korrekt.«
    Eine Pause. Ein Schluck Tequila. Ein weiteres Schulterzucken.
    »Es ist wirklich das erste Mal, dass ich etwas von solchen Regeln höre.«
    Nennt ihn einfach Bruce.

Kapitel 1
DER ORT, DER MIR ALLES BEDEUTETE
    Der Laster kann nicht schnell gewesen sein. Nicht in einer so ver -schlafenen Wohnstraße wie der McLean. Falls er von der Route 79 kam – die in Freehold, New Jersey, auch South Street genannt wird –, wird er sogar besonders langsam gefahren sein, denn kein Siebentonner kann mit unvermindert hohem Tempo durch eine Neunzig-Grad-Kurve fahren. Doch der Truck war immerhin so groß und breit, dass er die gesamte Straße einnahm und die anderen Wagen, Fahrräder und Fußgänger zwang auszuweichen, bis er an ihnen vorbeigetuckert war. Vorausgesetzt, die anderen Verkehrsteilnehmer waren aufmerksam genug und bemerkten ihn.
    Ein fünfjähriges Mädchen auf seinem Dreirad hatte andere Dinge im Kopf. Vielleicht folgte es gerade einer Freundin zur Lewis-Oil-Tank-stelle an der nächsten Ecke. Oder es war gerade nur gedankenverloren in ein Spiel vertieft an diesem frühlingshaften Aprilnachmittag im Jahr 1927. Den Laster jedenfalls sah Virginia Springsteen nicht. Und falls sie sein panisches Hupen hörte, als sie auf die Straße fuhr, hatte sie keine Zeit mehr zu reagieren. Der Fahrer trat sofort auf die Bremse, aber es war zu spät. Schon hörte und spürte er einen furchtbaren Schlag. Aufgeschreckt durch die Schreie der Nachbarn kamen die Eltern des Mädchens aus dem Haus gerannt und sahen ihr kleines Töchterchen bewusstlos, aber noch atmend auf der Straße liegen. Sie brachten sie zunächst in die Praxis von Dr. George G. Reynolds und danach in das dreißig Minuten von Freehold entfernte Long Branch Hospital. Dort erlag Virginia Springsteen schließlich ihren schweren Verletzungen.
    Die Trauer war unermesslich. Angehörige, Freunde und Nachbarn kamen in das kleine Haus an der Randolph Street, um die Eltern zu trösten. Fred Springsteen, ein siebenundzwanzigjähriger Elektriker, der im Freehold Electrial Shop arbeitete, sprach mit erstickter Stimme, während er seine Hände in den Hosentaschen vergrub. Doch seine achtundzwanzigjährige Frau Alice war völlig aufgelöst und schien unter dem Verlust ihres Kindes zusammenzubrechen. Ungekämmt und mit tränenverquollenen Augen kauerte sie benommen in einer Ecke. Sie war kaum in der Lage, sich um Virginias kleinen Bruder Douglas zu kümmern. Und angesichts seiner eigenen Trauer und der Hilflosigkeit seiner verzweifelten Gattin schaffte es auch der Vater nicht, nach ihm zu sehen. Und so übernahmen es in den ersten Wochen Alices Schwestern Anna und Jane, für den damals zwanzig Monate alten Jungen zu sorgen. Das Leben ging weiter, und ganz allmählich fanden alle wieder in den Alltag zurück. Nur Alice nicht. Der Sommer kam und ging, doch ihre Trauer war so groß und allumfassend wie am ersten Tag.
    Die Liebe ihres kleinen Sohnes vermochte sie nicht zu trösten. Kurz vor seinem zweiten Geburtstag im August machte das Kind einen so vernachlässigten und abgemagerten Eindruck, dass nicht mehr von der Hand zu weisen war, dass dringend etwas für ihn getan werden musste. Und so kamen wieder Alices Schwestern, packten Kleider, Spielsachen und sein Bettchen ein und brachten den Jungen zu seiner Tante Jane Cashion, bei deren Familie er bleiben sollte, bis die Eltern wieder in der Lage waren, sich um ihn zu kümmern. Es dauerte schließlich zwei, drei Jahre, bis Alice und Fred wünschten, dass ihr Sohn zu ihnen zurückkam. Aber selbst danach kreisten Alices Gedanken meist um die tote Virginia. Der Anblick ihres Sohnes erinnerte sie jedes Mal daran, wie sehr sie ihr kleines Mädchen vermisste, das sie über alles geliebt und durch Unachtsamkeit verloren hatte.
    Auch wenn es ihnen gelang, nach außen hin wie eine ganz normale Familie zu erscheinen, war das Leben im Hause Springsteen doch geprägt von einem gewissen Realitätsverlust, der sich bei allen Familienmitgliedern bemerkbar machte. Fred arbeitete inzwischen nicht mehr im
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