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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis
Autoren: Michail Chodorkowski
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Adresse der russischen Investoren« (»Frankfurter Allgemeine Zeitung«). Über 90 000 Mitarbeiter, eine Börsenkapitalisierung von 20 Milliarden Dollar und ein Nettogewinn von über 3,5 Milliarden lassen Jukos bei den Produktionszahlen zwar (noch) nicht am russischen Konkurrenten und Branchenriesen Lukoil vorbeiziehen. Aber das von Chodorkowski geleitete Privatunternehmen ist um einiges effektiver als der bürokratische Lukoil-Konzern, der immer noch zu 14 Prozent dem russischen Staat gehört.
    In den Weiten unter den Frostböden liegen noch ganze Meere des schwarzen Goldes – rund ein Viertel dieser Vorkommen kontrolliert der Jukos-Chef. Und macht sich einen Spaß daraus, der Konkurrenz eins auszuwischen. »Willkommen beim Branchenführer«, steht provozierend in großen Lettern auf dem Banner vor dem Jukos-Hauptquartier in Moskaus Stadtmitte. Das graue Monsterbauwerk aus Sowjetzeiten beherbergte einst eine Waffenfirma und liegt damals gleich ums Eck vom protzigen Glaspalast des Wettbewerbers. Es ist schwer für Lukoil-Mitarbeiter, auf dem Weg zur Arbeit nicht zu Jukos aufzusehen.
    MBC scheut sich nicht, von Kapitalisten zu lernen – und beste westliche Fachleute für sich arbeiten zu lassen. Im Aufsichtsrat sitzen im Jahr 2002 schon drei Franzosen, sein Büromanager ist ein Norweger, der Vizepräsident ein Amerikaner. Joe Mach heißt der Mann, ein alter Hase im Geschäft.
Mach arbeitete früher für die modernste US-Firma in Sachen Erdöl-Ausrüstung und empfahl seinem russischen Chef, deren teure Bohrmaschinen und Software-Programme zu kaufen. Das Hightech-Gerät amortisiert sich. Für ein nach westlichen Regeln geführtes Unternehmen von dieser Größenordnung ist es ungewöhnlich, dass die Eigentumsverhältnisse lange verschleiert wurden. Erst Ende Juni gab Jukos bekannt, dass MBC 36,3 Prozent der Firmenaktien hält – ein Riesenpaket. Nach Berechnungen des amerikanischen Magazins »Forbes« ist Chodorkowski mit konservativ geschätzten 3,7 Milliarden Dollar Vermögen damals der reichste Russe. Ein Big Shot von Weltniveau.
    MBC hat den Durchbruch in Sachen Seriosität geschafft. Er rettet mit einer Finanzspritze von 100 Millionen Dollar ein traditionsreiches Unternehmen der kapitalistischen Welt. Jukos wird beim vom Konkurs bedrohten norwegisch-britischen Anlagen- und Schiffsbaukonzern Kvaerner zweitgrößter Anteilseigner. 30 000 Arbeitsplätze scheinen durch den Einsatz aus Moskau gerettet. Einen »Zusammenbruch der Stereotypen« konstatierte daraufhin nicht ohne Stolz die russische Zeitung »Nowyje Iswestija«. Und die »Frankfurter Allgemeine« befand, Jukos habe sich »vom Schmuddelkind zum Musterknaben« gewandelt.
     
    Verschafft ihm das Genugtuung? Was macht er, plant er mit all seinem Geld? Und wie kommt er mit dem Präsidenten Wladimir Putin zurecht, der doch Chodorkowskis Mit-Oligarchen und Co-Milliardäre Boris Beresowski und Wladimir Gussinski außer Landes gedrängt hat?
    MBC wählt bei unserem Treffen im Sommer 2002 seine Worte, als hätte sich bei diesen Reiznamen die eingebaute
Selbstkontrolle angeschaltet: Achtung, vermintes Terrain. Er sagt, Putin sei generell auf dem richtigen Weg. Er sehe ihn in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit anderen Wirtschaftsführern »zum Gedankenaustausch«. MBC vermeidet aber Vieraugengespräche mit dem Kreml-Chef: »Ich will keine Privilegien, zu große Nähe zum Präsidenten muss nicht hilfreich sein.« Der Platz auf der Liste der weltweit Reichsten ist für ihn »Bestätigung, dass uns der Westen anerkennt«. Aber auch Verpflichtung, wie er gleich hastig hinzufügt, immer aufs Image bedacht: Verpflichtung, anderen zu helfen. Er sieht sich als Wirtschaftsführer in einer Vorbildrolle. Deshalb fördert er mit Millionengeldern Computerprogramme für Schulen. 300 000 Kinder sollen davon profitieren.
    »Jeder kann es schaffen, wenn er eine gute Ausbildung und eine Chance bekommt«, sagt Chodorkowski. Er hat sich unweit von Putins Domizil am Stadtrand eine Villa gekauft, fährt einen großen BMW und lässt seinen 17-jährigen Sohn in der Schweiz studieren, die kleineren Kinder leben bei ihm und seiner Frau. »Dafür steht mein Lebensweg in den schwierigen Zeiten des Umbruchs.« Und dann lädt er mich ein zu einem Rückblick auf sein Leben, erzählt entlang der wichtigsten Stationen.
     
    Moskau, 10. März 1985. Es ist einer dieser tristen Tage, für die Russlands Hauptstadt damals berühmt-berüchtigt ist. Lange Schlangen vor weitgehend leeren Geschäften; in
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