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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis
Autoren: Michail Chodorkowski
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Planwirtschaft. Versuchslaboratorien wie die »Zentren der wissenschaftlich-technischen Kreativität der Jugend« und die »Kooperativen« entstehen, ihre Repräsentanten dürfen gegen Entgelt Staatsfirmen beraten und auf eigene Faust neue Produkte entwerfen.
    Chodorkowski gestaltet diese neuen Freiräume äußerst kreativ – plötzlich, da der marktwirtschaftliche Geist aus der Flasche ist, weiß keiner, wer ihn stoppen sollte. Der Jungunternehmer lässt ab 1987 Matrjoschka-Puppen mit Gorbatschow-Porträts herstellen, verkauft dann Brandy – gelegentlich etwas verschnitten, wie er zugibt –, verlegt sich schließlich auf den höchst lukrativen Import von Computern. »Wissentlich brach ich kein Gesetz«, sagt er in der Rückschau vorsichtig. Galten beispielsweise Zollbestimmungen eines Staates, der zu existieren aufhörte – wenn
neue, russische, noch nicht geschrieben waren? Wilde Zeiten auch im Bankgewerbe: Chodorkowski, der in seinem Einzimmerbüro in einem Keller 14 Stunden am Tag arbeitet, findet einen genialen Weg zum »Gelddrucken«. Er schafft es – unter dem Schutzschild des Komsomol –, staatliche Subventionsgutscheine zu baren Rubel zu machen, sogar zu Dollar. Er gründet 1988 mit Menatep eine der ersten russischen Privatbanken und wirbt in Fernsehspots mit eigenen Auftritten für seine Firma.
    Zu diesem Zeitpunkt ist MBC im Big Business. Sein Kreditinstitut kauft auch mit Geld aus dem Ausland sowie mit großen Staatskrediten, die ihm wundersam gewährt werden, russische Metallurgiebetriebe und Chemiewerke. Als Gorbatschow 1990 eine Reihe neuer Wirtschaftsführer in den Kreml bittet, gehört Chodorkowski dazu, tauscht die Jeans gegen einen Anzug. 27 ist er, nun schon ein überzeugter Kapitalist. Und ein Jahr später auch politisch auf der richtigen Seite: Beim Putsch der Altkommunisten verteidigt er an Boris Jelzins Seite das russische Parlament und den neuen Kurs. Gemeinsam mit seinem Freund und jetzigen Jukos-Vorstand Leonid Newzlin schreibt er ein Buch, dessen Lektüre dem strammsten Neoliberalen Tränen der Rührung in die Augen treiben würde. »Unser Kompass ist der Profit, unser Idol das Kapital, unser Ziel die erste Milliarde«, heißt es in »Der Mann mit dem Rubel«. Und an anderer Stelle machen sich die Autoren über Lenin lustig, dessen Maxime Gleichheit in der Armut gewesen sei: »Wir sind Verfechter einer anderen Gleichheit – des Rechts auf Reichtum.«
    Bei den Neureichen fließt der Champagner. Man zeigt, was man hat, um sich und anderen zu beweisen, dass man
zur neuen Elite gehört. MBC macht sich nach Aussage seiner Freunde wie seiner Feinde nie viel aus Luxus. Aber an dem Trend zum Protzen kommt er nicht vorbei, und so lädt er 1991 zu einer rauschenden Party in den »Commercial Club«. Unter den Gästen ist alles, was in der Moskauer KP oder im KGB Rang und Namen hat. Die Wirtschaftsjournalistin Julija Latynina erinnert sich: »Chodorkowski hat als einer der Ersten begriffen, welchen Vorteil es bringt, in Regierungsleute zu investieren.«
    Die Menatep-Bank kann es sich bald leisten, die strengen Regeln für Geschäfte in harter Währung mit dem Ausland zu ignorieren. Womöglich werden dabei Parteigelder im großen Stil in den Westen verschoben. Nach dem missglückten Coup gegen Gorbatschow und Jelzins Aufstieg im Sommer 1991 haben sich innerhalb weniger Wochen die beiden letzten Schatzmeister der Kommunistischen Partei in den Tod gestürzt – Selbstmord, sagt man. KP-Barvermögen und KP-Guthaben verschwinden auf Nimmerwiedersehen.
    »Kann es sein, dass dieser begabte junge Mann zum Rettungsanker der Kommunisten wurde, dass er für die Parteibosse und den KGB die Reichtümer auf ausländische Konten transferierte? Er hatte die Fähigkeit und das Netzwerk«, schreibt der Russland-Kenner David E. Hoffmann über Chodorkowski. MBC mag von solchen Spekulationen nichts hören, er meint, die Konkurrenten könnten das gestreut haben. Aber die Gerüchte über seine engen Kontakte zu Offshore-Banken auf Zypern, in Gibraltar und der Isle of Man wollten nie verstummen. Beim Verkauf der russischen Bodenschätze verdienen sich jedenfalls die Leute mit den richtigen Kontakten eine goldene Nase. MBC erkennt,
dass sich mit Erdöl schnell Geld machen lässt. Sein Ziel ist es, einen Konzern aufzubauen und unter seiner Leitung zum modernen Unternehmen von Weltrang zu machen. Der Jugendtraum vom allseits respektierten »Werksdirektor« – in neuen Dimensionen.
     
    Chodorkowski mag es nicht, wenn
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