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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land
Autoren: Bruce Sterling
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konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie nahm eine silberne Muschelgabel in die Hand, probierte von dem reglosen grauen Klecks auf ihrem Teller und legte die Gabel wieder weg. Dann blickte sie ihn forschend an. »Du bist älter geworden.«
    »Ich weiß.« Er lächelte. »Soll ich die Maske wieder aufsetzen?«
    »Geht es in Ordnung, sich wegen dir Sorgen zu machen? Das tue ich nämlich.«
    »Das geht in Ordnung, aber nicht während des Mardi Gras.« Er lachte. »Du möchtest dir Sorgen machen? Mach dir Sorgen um die Leute, die mir in die Quere kommen.« Er schluckte eine Muschel.
    Erneutes langes Schweigen. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Greta kannte alle möglichen Arten des Schweigens. »Wenigstens lässt man mich jetzt wieder im Labor arbeiten«, murmelte sie. »Es steht nicht zu befürchten, dass man mich wieder mit einer leitenden Position betrauen wird. Ich wünschte nur, ich wäre besser in meiner Arbeit. Das ist das Einzige, was ich bedaure. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit und wäre besser.«
    »Aber du bist von allen die Beste.«
    »Ich werde alt, das spüre ich. Ich spüre, wie mein Verlangen schwindet, dieses verzehrende Gift. Ich wünschte bloß, ich wäre besser, Oscar, mehr nicht. Man sagt, ich sei ein Genie, aber ich bin immerzu unzufrieden. Daran kann ich nichts ändern.«
    »Das muss schlimm sein. Soll ich dir ein Privatlabor besorgen, Greta? Du hättest mehr Freiraum, du könntest es selber leiten. Vielleicht würde dir das helfen.«
    »Nein, danke.«
    »Ich könnte dir ein hübsches Labor bauen. An einem Ort, wo es uns beiden gefällt. Wo du dich konzentrieren kannst. Vielleicht in Oregon.«
    »Ich weiß, dass du ein Institut bauen könntest, aber ich will dir nicht auf der Tasche liegen.«
    »Du bist so stolz«, sagte er traurig. »Es wäre machbar. Wir könnten heiraten.«
    Sie schüttelte ihren maskierten Kopf. »Wir werden nicht heiraten.«
    »Wenn du eine Woche Zeit für mich hättest, eine Woche im Vierteljahr. Das ist nicht viel verlangt. Vier Wochen im Jahr.«
    »Vier ganze Wochen im Jahr würden wir einander nicht ertragen. Und zwar weil wir beide besessen sind. Du hast keine Zeit für eine richtige Ehe, und ich auch nicht. Und selbst wenn wir heirateten, selbst wenn es klappen würde, dann würdest du doch bloß mehr wollen.«
    »Ja, schon. Das stimmt. Natürlich würde ich mehr wollen.«
    »Ich sag dir, wie es laufen würde, denn ich habe das schon erlebt. Du wärst der Hausmann, Oscar. Ich würde meine Achtzig-Stunden-Woche abreißen, und du würdest dich um mich kümmern, wenn ich denn mal da bin. Vielleicht könnten wir Kinder adoptieren. Ich würde niemals Zeit für deine Kinder haben, aber meine Schuldgefühle wären ausreichend groß, um ihnen Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Du würdest dich ums Haus kümmern und ums Geld und vielleicht um den Ruhm, und du würdest für uns kochen und wer weiß noch was tun. Wahrscheinlich würdest du auf diese Weise dein Leben erheblich verlängern.«
    »Du glaubst, das gefiele mir nicht«, sagte er. »Ich fände das gar nicht so schlecht. Es klingt authentisch. Das Problem dabei ist, es ist unmöglich. Ich kann keine Familie zusammenhalten. Ich kann nicht sesshaft werden. Ich habe noch nie erlebt, dass es funktioniert hätte. Seit vergangenem August hatte ich Affären mit drei verschiedenen Frauen. Früher sind die Frauen aufeinander gefolgt. Damit komme ich nicht mehr klar. Jetzt laufen die Affären parallel nebeneinander her. Dir den Ring und den Brautschleier zu geben, würde mich nicht ändern. Das ist mir mittlerweile klar, ich muss das zugeben. Ich habe keinen Einfluss darauf, ich kann es nicht kontrollieren.«
    »Ich hasse deine Frauen«, sagte sie. »Andererseits stelle ich mir vor, wie sie für mich empfinden müssen, wenn sie denn überhaupt von mir erfahren. Das ist zumindest ein kleiner Trost.«
    Er zuckte zusammen.
    »Du hast mich nicht glücklich gemacht. Du hast mich kompliziert gemacht. Ich bin sehr kompliziert geworden. Jetzt fliege ich zum Mardi Gras, um mich mit meinem Geliebten zu treffen.«
    »Ist das so schlimm?«
    »Ja, es ist schlimm. Ich empfinde jetzt so viel Schmerz. Andererseits fühle ich mich viel wacher als zuvor.«
    »Glaubst du, wir haben eine gemeinsame Zukunft, Greta?«
    »Ich bin nicht die Zukunft. Dort draußen ist eine Frau, die sich herausgeputzt hat und stark betrunken ist. Heute wird sie mit ihrem Mann schlafen, und wenn sie klug sein sollte, wird sie sagen: Ach, was soll’s. Sie wird beim
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