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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land
Autoren: Bruce Sterling
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funktioniert nur, wenn ich meine eigene Opposition erschaffe. Der obere Block ist von ausschlaggebender Bedeutung, wenn das Spiel funktionieren soll. Der obere Flügel muss brillant sein. Er muss wahrhaft attraktiv sein. Er muss visionär sein und nahezu vernünftig. Und die praktische Umsetzung seiner Ziele darf ihm niemals, unter keinen Umständen, gelingen.«
    »Ich verstehe.«
    »Besondere Sorge bereitet mir die Koalition zwischen Prolos und Wissenschaftlern. Diese Leute sind eigensinnig. Sie erpressen bereits ganze Industrien mit der Drohung, sie auszuforschen. Das ist gegenwärtig die einzige wahrhaft neue und kraftvolle politische Bewegung. Die kann ich unmöglich in mein Lager aufnehmen. Ich kann sie nicht bestechen. Ich kann sie nicht beschwatzen. Die sind naturgemäß radikal, weil sie die aktuelle Entsprechung der Triebkraft darstellen, welche die westliche Gesellschaft in den vergangenen sechs Jahrhunderten transformiert hat. Sie zu vernichten wäre kriminell, das würde das Land lobotomisieren. Sie gewähren zu lassen, wäre allerdings unverantwortlich.«
    Der Präsident holte tief Luft. »Weil die Spin-offs ihrer Forschung den amerikanischen Kapitalismus aufgebaut und anschließend ruiniert haben, weil sie den Meeresspiegel haben ansteigen lassen, den Boden vergiftet, die Ozonschicht zerstört, Radioaktivität freigesetzt, den Himmel mit Kondensstreifen und den Boden mit Beton versiegelt haben, weil sie für die Überbevölkerung, den Reproduktionskollaps und das Feuer in Wyoming verantwortlich sind… Nein, es ist sogar noch schlimmer. Noch viel, viel schlimmer. Jetzt liegen unsere Gehirne wie eine jungfräuliche Neue Welt offen vor ihnen ausgebreitet, und jeder einzelne Mensch ist ein Hinterweltler, ein unzivilisierter Indianer. Irgend jemand muss sich ernsthaft mit diesen Leuten befassen. Und ich finde, Sie sind genau der Richtige dafür.«
    »Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen, Sir.«
    »Die haben keine Ahnung von den politischen Realitäten, aber wenn man nichts unternimmt, werden sie der Willkür Tür und Tor öffnen. Ich meine: man muss subtil vorgehen. Ihnen eine attraktive Perspektive eröffnen, damit sie sich weniger wie Dr. Frankenstein und mehr wie Künstler verhalten. Moderne Poesie, das wäre ausgezeichnet. Kostet so gut wie nichts, bewirkt hohe Erregung in sehr kleinen Gruppen, hat absolut keine sozialen Auswirkungen. Also, ich denke an die Mathematik. Nichts Praktisches, völlig abgehoben und abstrakt.«
    »Der abstrakten Mathematik kann man nicht trauen, Sir; sie hat bisher noch immer zu praktischen Anwendungen geführt.«
    »Dann Computersimulation. Äußerst zeitaufwändige, komplizierte, detailreiche Simulationen, die in der Realität niemandem schaden können.«
    »Ich glaube, das wäre schon eher geeignet, das von Ihnen gewünschte Ergebnis zu erzielen, Sir, aber offen gesagt nimmt kein Wissenschaftler die Cybernetik mehr ernst. Dieser Forschungspfad ist völlig ausgelatscht, das ist ein alter Hut. Selbst die Bioforschung und die Genetik sind mittlerweile weitgehend ausgereizt. Jetzt geht es um die Hirnforschung, Sir. Das ist das Einzige, was ihnen noch bleibt.«
    »Sie haben darunter zu leiden gehabt. Vielleicht könnten Sie sie überreden, etwas Netteres auszuprobieren. Etwas Phantastischeres.«
    »Mr. President, da wäre noch etwas. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, erwarten Sie von mir, dass ich sie infiltriere und verrate?«
    »Oscar, ich bitte Sie, Politiker zu sein. Es ist nicht Ihr Job, der Willkür Tür und Tor zu öffnen. Das gehört nicht zu Ihrem Berufsbild. Es geht um Gerechtigkeit, um Ruhe im Land und um die Steigerung des allgemeinen Wohlstands. Eine Aufgabe, an der wir Politiker eindeutig gescheitert sind. Wissen Sie was? Es ist nicht schön, einem Land dabei zuzusehen, wie es durchdreht. Aber sowas kommt vor. Das passiert bisweilen auch großen Ländern, den größten Völkern der Erde. Japan, Deutschland, Russland, China… und wir Amerikaner hatten gerade eine ganz üble Kugel im Lauf. Wir sind immer noch ganz benommen. Dabei hatten wir noch Glück. Beim nächsten Mal könnte der Schuss losgehen.«
    »Sir, glauben Sie nicht, man sollte der wissenschaftlichen Gemeinde – so wie die Dinge liegen – reinen Wein einschenken? Sie besteht aus Bürgern dieses Landes, oder nicht? Das sind ziemlich helle Leute, wenn auch ein wenig engstirnig. Ich glaube nicht, dass eine Täuschungstaktik auf längere Sicht Erfolg hätte.«
    »Auf längere Sicht sind wir alle
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