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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land
Autoren: Bruce Sterling
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man weiß, an wen man sich wenden muss.«
    »Vielleicht nächstes Jahr«, sagte sie. An der mahagonigetäfelten Tür wurde leise geklopft. Hotelangestellte in weißen Jacketts und mit Sträußchen im Knopfloch schoben einen ratternden Servierwagen aus Sandelholz in den Raum. Austern, Shrimps, eisgekühlter Champagner. Greta ging ins Schlafzimmer hinüber, um sich umzuziehen. Die Einheimischen machten sich lautlos am leinengedeckten Tisch zu schaffen, zündeten den Kerzenleuchter an, öffneten die Flasche, füllten die Gläser. Oscar geleitete sie geduldig auf den Flur. Dann schaltete er das Licht aus.
    Greta kam zurück und nahm den Kerzenleuchter in Augenschein. Sie trug ein dunkelbraunes Spitzenkleid aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg und eine federbesetzte Gesichtsmaske. Die Maske gefiel ihm ausnehmend gut. Selbst mitten im Mardi Gras verlor sie nicht ihre Faszination.
    »Schokotrüffel?« meinte sie lüstern.
    »Hab ich nicht vergessen. Später.« Oscar hob das Champagnerglas, bewunderte die goldenen Bläschen, setzte es wieder ab.
    »Du trinkst noch immer keinen Alkohol, nicht wahr?«
    »Nur zu. Ich bewundere ihn bloß. Mit einem Auge.«
    »Ich nippe mal eben«, sagte sie und leckte sich unter dem federbesetzten unteren Rand der Maske über die breite Oberlippe. »Ich habe ein kleines Problem mit der Selbstbeherrschung…«
    »Warum solltest du dich zügeln? Es ist Mardi Gras.«
    Sie setzte sich. Sie probierten vom Shrimpcocktail. Es gab auch unglaublich scharfe kleine Meerrettichscheiben. »Hab ich dir schon erzählt, dass ich mich einer Zellreinigung unterzogen habe?«
    »Du machst Witze.«
    »Ich hab’s gehasst, weißt du. Weil ich mich nicht selbst dazu entschlossen habe. Außerdem hatte ich hohen Blutdruck, und es bestand die Gefahr eines Schlaganfalls. Deshalb hab ich das Gehirngewebe reinigen lassen.«
    »Und, wie war’s?«
    »Es fühlte sich alles ganz normal an. Sehr flach. Als lebte man in einer Schwarz-weiß-Welt. Ich musste den früheren Zustand wiederherstellen, es macht mir nichts mehr aus, ich musste einfach.« Sie legte ihre langen, bleichen Hände auf den Tisch. »Wie steht’s mit dir? Kannst du aufhören?«
    »Ich will nicht aufhören. Ich find’s gut.«
    »Es ist schlecht für dich.«
    »Nein, ich liebe die Zweigleisigkeit. Das gefällt mir wirklich an diesem kleinen Geschenk oder Gebrechen. All die anderen Beschwernisse, die elenden kleinen Vorurteile, die Rassenprobleme, das ethnische Problem… Es ist nicht so, dass dies alles verschwinden würde, weißt du. Das wäre zu viel erwartet. Diese Probleme werden niemals verschwinden, aber die neuen Probleme drängen die alten in den Hintergrund. Außerdem bin ich jetzt multitaskingfähig. Ich kann wirklich zwei Dinge gleichzeitig tun. Ich bekomme viel mehr geschafft. Ich kann fulltime an einer Sache arbeiten, während ich mich fulltime für ihre Legalisierung einsetze.«
    »Dann verdienst du also wieder Geld.«
    »Ja, das habe ich vor.« Oscar seufzte. »Das ist uramerikanisch. Das ist mein einziger Weg in die Legitimität. Mit echtem Geld kann ich Kandidaten finanzieren, Prozesse führen, Stiftungen gründen. Es hat keinen Zweck, uns mit unseren Bären und Tambourins am Rand der Gesellschaft herumzudrücken und für ein paar Almosen zu tanzen. Die Hirnforschung wird sich in Kürze zu einer Industrie weiterentwickeln. Zu einer massiven, erderschütternden, neuen amerikanischen Industrie. Irgendwann wird es die größte Industrie überhaupt sein.«
    »Du willst meine wissenschaftlichen Erkenntnisse industriell nutzen? Obwohl es derzeit illegal ist, obwohl die Leute es für gefährlich halten, sich damit überhaupt zu beschäftigen? Wie stellst du dir das vor?«
    »Du kannst mich nicht daran hindern.« Oscar senkte die Stimme. »Niemand kann mich hindern. Die Entwicklung wird ganz allmählich vonstatten gehen, ganz behutsam, so still und leise, dass man zunächst gar nichts davon mitbekommt. Bloß ein behutsames Lüften des Schleiers. Ganz sachte, ganz subtil. Ich werde den Schleier vom Reich des abstrakten Wissens heben und dieses in die reale, schmutzige Welt des Schweißes und der Hitze verpflanzen. Es wird nicht schmutzig und gemein sein, sondern schön und unvermeidbar erscheinen. Die Menschen werden es haben wollen, sie werden danach verlangen. Irgendwann werden sie darum flehen. Und am Ende, Greta, wird es vollständig mir gehören.«
    Ein langes Schweigen. Greta fröstelte heftig auf ihrem Stuhl, und die Federmaske rutschte herab. Sie
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