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Brechreizend - Die fiesesten Reiseziele der Welt

Brechreizend - Die fiesesten Reiseziele der Welt

Titel: Brechreizend - Die fiesesten Reiseziele der Welt
Autoren: Catherine Price
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gemeinschaftlichen Arbeit eingeteilt. In unseren Mao-Anzügen folgten wir der für uns zuständigen Dame in den Garten, wo sich inmitten aufgehäufter Kartoffeln bereits acht weitere Teilnehmer des Programms aufhielten. Sie warfen uns feindselige Blicke zu. Durch unsere Verspätung hatte man die anderen genötigt, bei Temperaturen von über 27 Grad drei Stunden lang Kartoffeln zu ernten. Ich konnte es ihnen nicht verübeln: Hätte ich im Dreck wühlen müssen, weil irgendwelche Idioten den langsamsten Weg zur Insel Ganghwa gewählt hatten, wäre ich ebenfalls stinksauer gewesen. Negative Gefühle jedoch widersprachen dem Geist unserer Klausur. Ich rückte meinen Sonnenhut zurecht und gesellte mich zu den Leuten auf dem Feld.
    Nachdem wir in die Hocke gegangen waren, erklärte die Koordinatorin, dass wir die Kartoffeln der Größe nach in drei Kisten für kleine, mittlere und große Erdäpfel sortieren sollten. Dann verschwand sie, ohne uns die buddhistische Begriffsbestimmung des Wortes »klein« zu erläutern. Nachdem ich eine halbe Stunde damit verbracht hatte, jede Kartoffel, die kleiner war als ein Golfball, in eine Kiste neben mir zu werfen, blickte ich auf. Vor mir stand ein Mönch, der meine Arbeit begutachtete. Ich lächelte. Ohne eine Miene zu verziehen, griff er nach der Kiste und entleerte sie auf den Boden.
    Es war Zeit für die Meditation.
    Nachdem man uns beigebracht hatte, die Schuhe auf korrekte Weise vor der Tür des Tempels abzustellen, lernten wir, wie man sich gemäß der Tradition des koreanischen Buddhismus zu verneigen hat: Man kniet nieder, berührt mit der Stirn den Boden und legt beide Hände mit den Handflächen nach oben auf den Boden. Und dann wiederholt man die Verneigung quasi rückwärts, wie ein Film, der zurückgespult wird. Und das Ganze übt man im Idealfall mehrere Hundert Mal.
    Mir erschienen diese Verbeugungen hauptsächlich als Muskeltraining für meinen Quadrizeps, doch leider verlief die Verbesserung meiner Oberschenkelmuskulatur Hand in Hand mit Schmerzen in meinen arthritischen Knien. Im Anschluss an die Verbeugungen hatte ich viel Muße, bei einer halbstündigen Meditation im Sitzen über diese Unannehmlichkeit nachzudenken. Die leichte Brise, die durch die offenen Tempeltüren zu uns hereinwehte, kam mir vor wie eine Aufforderung zur Flucht.
    Nach einer Meditation bei langsamem Gehen über das Tempelgelände, einem vegetarischen Abendessen, einer Kalligrafiestunde und einer Diskussion über Meditationsformen, die vom obersten Tempelmönch geleitet wurde (ich verbrachte den Löwenanteil der Zeit damit, Moskitos totzuschlagen und mir anschließend Sorgen um mein Karma zu machen), wurden wir in unsere Zellen geschickt, wo wir bis zum Weckruf um halb vier morgens ruhen sollten. Ich lag in meinem Mao-Anzug auf dem Boden und tat bis halb zwei kein Auge zu.
    Zwei Stunden später ließ mich der Klang des mokt’ak – dabei handelt es sich um ein Schlaginstrument aus Holz, das zu Beginn jedes Tempeltags gespielt wird – aufschrecken. Ich wälzte mich von meiner Schlafmatte und taumelte durch das beginnende Morgengrauen zum Tempel, wo rosafarbene Lotuslaternen eine kleine Gruppe von Menschen in sanftes Lichttauchten – es war die Art von Bild, die man seinen daheimgebliebenen Freunden schickt, um sie neidisch auf die exotischen Ferienabenteuer zu machen.
    Leider klafft zwischen Ansichtskarten und der Realität eine große Lücke. Niemand schickt zum Beispiel um halb vier morgens Postkarten. Auch gehört es für die meisten Leute nicht unbedingt zu einem Traumurlaub, mitten in der Nacht aufzustehen, nur um eine halbe Stunde schweigend und mit geschlossenen Augen im Tempel zu sitzen. Ich sah durch halb geschlossene Augenlider, wie unsere Betreuerin mehrfach zusammenzuckte, kurz bevor sie vor Müdigkeit vornüberkippte – wie eine Pendlerin in der U-Bahn morgens. Fast hätte mich das gleiche Schicksal ereilt, doch dann sah ich etwas, was mich wach hielt. Auf der Lotuslaterne, die genau über meinem Kopf hing, kroch ein gigantischer Käfer herum. Er hatte die Ausmaße einer großen Feige – wäre er auf meinen Kopf gefallen, hätte dies ungefähr dem Aufklatschen einer Maus auf meinem Scheitel entsprochen. Von diesem Augenblick an richtete ich meine gesamte Aufmerksamkeit auf diesen Käfer und sandte stumme Fürbitten für seinen sicheren Halt gen Himmel.
    Meine Gebete wurden erhört. Der Käfer blieb oben, und uns wurde nach einer Weile gestattet, den Tempel zu verlassen.
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