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Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss

Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss

Titel: Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
Autoren: Berte Bratt
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die Suchaktion Richtung Schiff gelenkt, hatte den Gendarm dorthin gebracht, während Lillepus in die entgegengesetzte Richtung geschafft wurde.
    Woher konnte der Mann wissen, daß er nur bei Hochwasser dicht ans Kliff gelangen und ein kleines Boot in die Bucht legen konnte? Alles paßte. Alle Einzelheiten fügten sich ineinander wie die Steine eines Mosaiks.
    Aber - Marions »gute« Augenblicke, Marions Hilfsbereitschaft, ihre Kameradschaft? Und ihre große Tierliebe? Bewies das alles nicht, daß sie ein guter Mensch war?
    Auf der einen Seite mein Mosaik, logisch und lückenlos aufgebaut.
    Auf der anderen Seite die kurzen Augenblicke, in denen Marion lieb und nett gewesen war. Die Tierliebe? Es gab Beispiele genug, daß große Verbrecher einen heißgeliebten Hund hatten. Der Mensch ist nun eben ein kompliziertes Gemisch aus guten und bösen Teilen. Warum übernahm Marion es immer, die Post zu holen? Wir ahnten nicht, wie viele Briefe sie selbst bekam. Wer weiß, vielleicht hatte sie sich schon am Kliff mit dem Mann getroffen, vielleicht hatte sie ihm damals die Höhle gezeigt, vielleicht, vielleicht. Mein Herz war schwer. Denn etwas war mir klar: Ich mußte Vati alles erzählen, alles erklären, und - wir mußten es der Polizei sagen. Marion mußte »vor die Wölfe« geworfen werden. Wir mußten es tun, wenn unsere Herzen dabei auch bluteten. Ich würde mir gemein, verräterisch, bodenlos schäbig vorkommen. Aber ich mußte es tun.
    Es war Nacht.
    Ich hatte schlecht geschlafen, war öfters aufgeschreckt. Jetzt dämmerte der Tag, das erste schwache Morgenlicht drängte zum Fenster herein.
    Ich warf einen Blick auf Marions Bett und stutzte. Mit weit offenen Augen lag sie da. Und - da sah ich, wie sie schnell mit dem Zipfel des Bettuchs über ihre Augen wischte.
    Ich stand auf und ging zu ihr rüber, setzte mich auf ihre Bettkante. »Marion«, flüsterte ich. »Marion, kannst du nicht sprechen?« Sie schüttelte den Kopf. »Wir sind doch Freunde, Marion.«
    »Gerade deswegen«, flüsterte sie.
    »Aber Marion, du mußt dich aussprechen. Du erstickst, wenn du alles allein mit dir herumschleppst. Sprich mit irgend jemandem, mit Vati, mit Tante Edda!«
    »Ich kann es nicht. Ihr seid alle zu gut zu mir.«
    »Mit wem könntest du denn sprechen? Mit einem fremden Menschen?«
    »Vielleicht. Vielleicht mit einem Juristen. Ich weiß nicht.«
    »Hör, Marion! Ellens Freund ist Rechtsanwalt. Wie wäre es, wenn du versuchtest, dich Ellen anzuvertrauen? Sie ist ein furchtbar netter Kerl, und sie ist nüchtern und praktisch veranlagt.«
    Wieder wischte Marion sich die Augen. Ich streichelte ihre Wange. »Wenn ich dir bloß helfen könnte, Marion!« Ihr Weinen wurde stärker. Nun flüsterte sie etwas, ich mußte hinhorchen, um es zu verstehen. »Hätte ich bloß eine Mutter gehabt!«
    Da schlug ich die Arme um sie. Ich vergaß meinen bösen Verdacht, ich vergaß, daß ich mit Vati sprechen wollte, daß wir die Polizei auf diese schreckliche Möglichkeit aufmerksam machen mußten. Ich wußte nur eins: Da weinte ein mutterloses, elternloses, tief unglückliches Mädchen sich aus in den Armen eines anderen mutterlosen Mädchens. In diesen Minuten wurden Marion und ich Freundinnen fürs Leben.
    Als Ellen sich am folgenden Tag aufmachte, um auszugehen, ging Marion zu ihr hin. Sie wechselten ein paar Worte, Ellen nickte eifrig, und drehte sich zu uns um.
    »Marion und ich haben etwas zu tun. Vielleicht kommen wir gar nicht zu Mittag. Dafür bringen wir heute abend einen Gast mit, falls wir dürfen?«
    »Ihr dürft!«
    Sie verschwanden, und ich machte mich ans Putzen.
    Mir war plötzlich viel, viel leichter ums Herz.
    Rechtsanwalt Frank Liethbach war ein großer, blonder Mann, keine Illustriertenschönheit, aber mit zwei klugen Augen in einem offenen, netten Gesicht.
    Ellen strahlte, als sie ihn uns vorstellte. Man merkte deutlich, daß sie ihm viel über uns erzählt hatte, denn er schien uns alle zu kennen. Wir saßen bei einem späten Nachmittagskaffee, als sie kamen. Ich beeilte mich, noch eine Kanne aufzubrühen und etwas mehr von dem Napfkuchen aufzuschneiden. »Wo ist eigentlich Marion?« fragte Bernadette. »In meinem Zimmer in der Pension«, sagte Frank Liethbach. »Hoffentlich schläft sie.«
    »Sie hat uns gebeichtet, daß sie seit achtundvierzig Stunden beinahe nicht geschlafen hat«, erklärte Ellen. »Als wir sie verließen, war sie todmüde, erschöpft vom Erzählen.«
    »Sie hat also erzählt?«
    »Ja, Britta. Sie hat
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