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Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss

Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss

Titel: Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
Autoren: Berte Bratt
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Die ganze Zärtlichkeit, die sie einmal ihren Eltern entgegengebracht hatte, die sie so gern einem Tier geschenkt hätte, die schenkte sie nun diesem Jungen. Er war der Anführer einer kleinen Bande, die allerlei ausfraß. Sie machten Lärm auf der Straße, sie fuhren wie die Wilden auf ihren Mopeds, sie waren frech und laut, wohin sie kamen. Marion ließ sich mitreißen. Ohne daß es ihr selbst klarwurde, überschritt sie mit den anderen Jugendlichen die Grenze zwischen Unfug und Verbrechen. Die Spannung fraß sie förmlich auf. Sie war, wie gesagt, aufgeweckt, sie war sehr brauchbar in dieser Bande. Gewöhnlich mußte sie >Schmiere stehen<, während die Jungen ein Ding drehten. Sie wußten: Auf die >Nudel< konnten sie sich verlassen. Ja, >Nudel< wurde ihr Spitzname, so wie er - ihr Held - >Kokos< genannt wurde. Aber der Kokos war nicht auf Treue eingestellt. Er bekam andere Interessen, das heißt, er interessierte sich stark für Marions blonde Freundin, und Marion selbst war nur noch als waghalsiges und kluges Bandenmitglied zu gebrauchen.
    Arme kleine Marion! Eine unglückliche Liebe ist immer schrecklich, am schrecklichsten aber, wenn man sie zum erstenmal erlebt, und wenn man nichts auf der Welt hat, außer diesem einen Menschen, dem man sein ganzes Herz geschenkt hat.
    Dann wurde Marion noch waghalsiger, alles machte sie mit, nur um Kokos zu imponieren, um ihm klarzumachen, daß sie ihm unentbehrlich war.
    Die Bande wurde endlich gefaßt, und wir sahen es mit unseren eigenen Augen im Fernsehen: Die vier Jungen und die zwei Mädchen wurden ins Polizeipräsidium geführt.
    Marion kam mit einer Verwarnung davon. Kokos, der schon einundzwanzig war, erhielt zwei Monate Gefängnis.
    Wie Marion zu uns kam, wißt ihr. Wie es ihr zumute war, werdet ihr jetzt verstehen. Noch war sie verliebt in diesen Kokos. Sie wollte auf ihn warten, denn in der letzten Zeit war er wieder freundlicher zu ihr gewesen.
    Solange sie verschlossen und hart blieb, war es nicht so schwer. Aber - sie lernte uns kennen, sie sah, wie glücklich wir waren, sie lernte das Familienleben kennen, und sie wurde bei uns aufgenommen, wurde ohne Mißtrauen aufgenommen, wurde gepflegt, wurde selbst ein Familienmitglied in unserer komisch zusammengewürfelten Hausgemeinschaft. Ja sie gewann uns lieb. Und nun focht sie tagtäglich einen Kampf in sich aus. Einen Kampf zwischen zwei Welten - der unseren und der von Kokos.«
    Ellen schwieg einen Augenblick und zündete sich eine Zigarette an. Da wagte ich, sie zu unterbrechen:
    »Du hast nicht erzählt, wieso sie ausgerechnet nach dem Seehundsrücken kam.«
    »Ja, richtig! Als sie ausgerissen war, fuhr sie mit dem ersten Auto los, das anhielt. Dann war dies Auto am Ziel, und sie winkte wieder. Da kam der Wagen mit Pierre und seinem Freund. Als Pierre sagte: >Sie dürfen gern mitfahren, aber wir fahren nicht weit, nur zum Schiff nach dem Seehundsrücken<, kam ihr der Gedanke: Das wäre vielleicht das Richtige. Wer sollte sie auf einer kleinen Nordseeinsel suchen? Außerdem hatte sie so ein Gefühl, als könnte man von hier nach Dänemark gelangen.
    Sie wollte ja irgendein Schlupfloch suchen und auf Kokos warten. Irgendwo hatte sie sich eine gehörige Erkältung geholt, und aus der Erkältung wurde eine Angina - den Rest kennt ihr. Dann sah sie kürzlich die Übertragung von einem Boxkampf. Nun habt ihr richtig geraten. Auf dem Publikumsbild sah sie Kokos. Er war wieder draußen, und er war in Hamburg. Es war ja eine Übertragung aus Hamburg.
    Jetzt hatte Marion es schwerer denn je. Sie kannte Kokos’ Schlupflöcher und seine Angewohnheiten, so daß sie ihn finden konnte, wenn sie wollte. Andererseits hing sie an uns. Ja. wie soll ich es sagen? Ihr schlechtes Ich hing an ihm - das gute an uns.
    Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß eine Menschenseele nie ganz schwarz oder ganz weiß ist. Immer gibt es eine Grenzzone, eine graue Grenzzone, und sie ist bei den meisten Menschen sehr groß. Dann kam der schreckliche Tag. Marion war genauso entsetzt und verzweifelt wie wir. Als sie erfuhr, Lillepus hatte den Fremden >Onkel Pierre< genannt, kam ihr der furchtbare Verdacht, daß es Kokos gewesen sein könnte. Wenn jemand von seiner Ähnlichkeit mit Pierre wußte, war sie es!
    Wißt ihr noch, wie schweigsam Marion dabeisaß, als wir den ganzen Vorgang zu rekonstruieren versuchten? Ihr Verdacht, ihr verzweifelter Verdacht, wurde immer stärker. Dabei stand es brennend klar in ihrem Gedächtnis, was Kokos bei früheren
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