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Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Titel: Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
Autoren: Berte Bratt
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es nur sein konnte – aber kommen wollte er.
    Ich selber trug eine weiße Schürze mit Ärmeln und eine weißleinene Kappe, wusch Lisbeth, zog ihr frische Nachthemden an, kochte Hafersuppe, preßte Apfelsinen aus, erwärmte Milch. Das Fieber blieb hoch. Sie sollte nur flüssige Nahrung bekommen.
    „Ißt du selber eigentlich etwas?“ fragte Heming eines Tages.
    „Oja.“
    „Was hast du gestern zu Mittag gegessen?“
    „Wie du fragst! – Spiegeleier, glaube ich.“
    Heming ging fort und kehrte mit einigen Paketen zurück. Dann ging er in die Küche und schmorte und briet. Nach einer Weile brachte er mir auf einem Brett ein Beefsteak mit Gemüse.
    „Du mußt ordentlich essen, Steffi. Vor dir liegen noch viele anstrengende Wochen.“
    Von da an brachte er jeden Tag Fleisch und andere gute Dinge mit und paßte auf, daß ich sie gut zubereitete und mir Zeit zum Essen ließ. Er war wundervoll!
    Der Doktor verordnete kalte Packungen und zeigte mir, wie man dabei verfahren müsse. Heming ging in die Apotheke und holte geölte Leinwand. Dann hoben wir zusammen den kleinen, fieberheißen Körper hoch und packten ihn ein: zuerst kam ein nasses Bettuch, dann die wasserdichte Leinwand und schließlich eine wollene Decke.
    Lisbeth war kaum wiederzuerkennen: über und über mit roten Tüpfeln besät, die Wangen merkwürdig geschwollen, die Lippen brennend rot und die Umgebung des Mundes unnatürlich weiß.
    Sie phantasierte oft. Eines Tages sprach sie viel von Perle und Graubein. Offenbar erlebte sie noch einmal die Sommertage im Gebirge. Ein anderes Mal murmelte sie etwas von ihrem Fahrrad. Am häufigsten aber sprach sie von Heming. Mich erwähnte sie selten, und wenn sie es tat, machte sie mir meistens Vorwürfe. Es war kaum auszuhalten.
    Der Doktor trug mir auf, ich solle sie baden. Sie hatte es immer sehr geliebt, in der Badewanne zu planschen.
    Es war erschütternd, den kleinen, abgemagerten, scharlachroten Körper so schlaff und matt in der Badewanne liegen zu sehen.
    Eines Tages wimmerte sie wieder. Sie war bei Bewußtsein, und ich fragte sie, ob sie Schmerzen hätte.
    „Das Ohr tut so weh“, jammerte Lisbeth.
    Ich rief bei dem Doktor an. Er machte ein bedenkliches Gesicht, als er Lisbeth untersucht hatte.
    „Ohrengeschichten sind eine sehr häufige Begleiterscheinung des Scharlachfiebers“, suchte er mich zu trösten. Wahrscheinlich sollte es für mich ein Trost sein, daß dergleichen häufig vorkam.
    Aber was nützte mir das? Darum wurden die Schmerzen, die meine kleine Lisbeth aushalten mußte, nicht geringer.
    Der Doktor mußte das Trommelfell durchstechen. Lisbeth war geduldig. Sie schrie nicht, sondern weinte nur still und leise vor Schmerz.
    Lieber Gott! Hätte ich ihr doch die Schmerzen abnehmen können! Warum mußte das arme kleine Kind so leiden?
    Der Doktor kam jetzt häufiger. Jeden Tag behandelte er Lisbeths Ohren, und mehrmals täglich wischte ich vorsichtig die braune Flüssigkeit weg, die herausrann. Da sah ich plötzlich ein Bild vor mir, das sich mir unvergeßlich eingeprägt hatte.
    Es war in Holland gewesen. Ein kleines Mädchen mit einem seltsam leblosen, verschlossenen Gesicht. Wir kauften im gleichen Geschäft ein. Das Mädchen legte einen Zettel und das Geld, das in Papier gewickelt war, auf den Ladentisch. Die Verkäuferin holte die Waren, das Mädchen bekam sie und das Wechselgeld in ihren Korb und ging.
    Nie sagte sie ein Wort.
    Ich fragte eines Tages die Verkäuferin.
    „Die arme K eine!“ sagte sie. „Sie ist taubstumm. Sie wurde es, nachdem sie Scharlach gehabt hatte.“
    Wenn ich jetzt Lisbeths Ohren wusch und wenn der Doktor ein ernstes Gesicht machte, sah ich immer das taubstumme kleine holländische Mädchen vor mir.
    Ich hatte keine Ahnung mehr, welchen Wochentag wir hatten oder welches Datum wir schrieben. Ich war immer todmüde. Aber die Müdigkeit war bedeutungslos, verglichen mit der Angst, die ich um Lisbeth fühlte. „Leg dich jetzt hin und schlafe!“ sagte Heming eines Tages.
    „Ich schlafe ja so oft, Heming – “
    „Ja. Und jedesmal höchstens eine halbe Stunde. Ich komme heute von der Zeitung direkt hierher. Dann legst du dich hin, und ich bleibe bei Lisbeth, bis du von selber aufwachst. Verstanden?“
    Ich mußte mich fügen. Ich machte den Diwan im Wohnzimmer zurecht, und als Heming bei Lisbeth war, sank ich todmüde ins Bett.
    Ich schlief bis zum nächsten Tage um zwölf Uhr mittags. Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie ein neuer, besserer Mensch. Heming
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