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Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Titel: Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
Autoren: Berte Bratt
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wellig. An der Schläfe wurde es von einer billigen, geschmacklosen Zelluloidspange zusammengehalten.
    Ihre Augen und ihr ausdrucksvolles Gesicht hielten meinen Blick fest. Ich vergaß darüber den erst zur Hälfte verzehrten Ananaskuchen. Warum aber die Kleine mich so fesselte, hätte ich selber nicht zu sagen gewußt.
    Sie schien an mir das gleiche Interesse zu nehmen. Eine so heftige und plötzliche Sympathie pflegt immer wechselseitig zu sein. Und wenn man sieben Jahre alt ist, hat man nicht dieselben Hemmungen wie mit dreiundzwanzig.
    Die Kleine lächelte mich an. Es war ein offenes, glückliches Lächeln.
    Sie saß mit ihrem Vater zusammen. Er war ärmlich gekleidet und sah kränklich aus. Er hatte dieselben braunen Augen wie seine Tochter – aber seine lagen tief in ihren Höhlen. Und die Hand, die die Limonadenflasche hielt – er schenkte gerade seiner Tochter ein –, war mager und knochig.
    „Sie sieht lieb aus, Vater!“ sagte das Kind – laut genug, daß ich es hören konnte.
    Jetzt wandte er sich nach mir um – und da stutzte ich. War es möglich, daß es auf der Welt zwei Menschen mit denselben braunen Augen und demselben kleinen dreieckigen Muttermal im rechten Mundwinkel gab?
    Nein. Es konnte niemand anders als Georg Jensen sein. Seit zehn Jahren hatten wir uns nicht mehr gesehen. Ja, so lange mußte es her sein. Es war in jenem Sommer gewesen, in dem wir beide bei unserem gemeinsamen Großonkel im Gudbrandstal zu Besuch geweilt hatten. Wir waren eine ganze Schar von mehr oder weniger nahe miteinander verwandten Kindern und jungen Leuten gewesen, und wir hatten die herrlichsten Ferien verlebt, die man sich nur wünschen konnte: Wir tummelten uns im Heu, tanzten in der Scheune, stopften uns den Magen mit Kirschen voll, ritten die Pferde auf die Weide und genossen das Dasein in vollen Zügen. Georg war der Älteste von uns allen gewesen. Schon damals war er still und verschlossen. Zwar war er gutmütig – unglaublich gutmütig sogar –, aber ich erinnerte mich, daß die Onkel und Tanten davon sprachen, es wäre an ihn nicht heranzukommen. Wenn er um etwas gebeten wurde, tat er es – aber er suchte sich nie zur Geltung zu bringen. Er spielte Geige und sprach wenig. Damals war er etwa zwanzig Jahre alt gewesen. Jetzt mußte er also dreißig sein. Aber er sah viel älter aus.
    Ich hatte gehört, er habe geheiratet, seine Frau aber früh verloren. Er sollte in irgendeinem Geschäft eine bescheidene Stellung innehaben.
    Mehr wußte ich nicht. Und, offen gestanden, ich hatte in diesen Jahren nicht viel an ihn gedacht.
    Er schien mich wiederzuerkennen. Unsere Blicke begegneten sich. Er lächelte fragend. Ich lächelte zurück.
    „Wenn ich nicht irre…“
    „Ja, freilich bin ich es. Wie nett, dich wiederzusehen. Wie geht es dir, Georg?“
    „Es macht sich – danke. Ich hätte dich beinahe nicht wiedererkannt, Steffi. Du siehst so – “ er stockte, als suche er nach einem passenden Ausdruck – „so erwachsen aus“, vollendete er schließlich den Satz.
    „Das will ich auch hoffen“, sagte ich. „Aber, Georg, du kannst doch unmöglich eine so große Tochter haben?“
    „Doch – das ist meine Tochter“, sagte Georg. Und nun brauchte er nicht mehr nach Worten zu suchen. Ganz im Gegenteil! Seine Stimme war sicher und fest, der Tonfall unverkennbar stolz.
    Die klugen Augen der Kleinen wanderten zwischen ihrem Vater und mir hin und her. Man merkte es ihr an, daß sie allem, was gesprochen wurde, aufmerksam folgte.
    Ich reichte ihr die Hand.
    „Du also warst der Meinung, mein Hut sähe wie eine Bananenschale aus!“ sagte ich. „Aber weißt du, das schlimmste ist: ich glaube, du hast recht! – Ich heiße Steffi. Und wie heißt du?“
    „Lisbeth“, sagte die Kleine. Mit einiger Verwunderung stellte ich fest, daß sie mir die Hand wie ein Erwachsener drückte.
    Georg mischte sich nicht in unser Gespräch. Er sagte weder: „Mach einen Knicks, Lisbeth!“ noch: „Gib Tante Steffi hübsch die Hand!“ noch etwas anderes dergleichen, wie es die meisten Eltern bei einer ähnlichen Gelegenheit zu tun pflegen. Er überließ es ganz der Kleinen, sich so zu verhalten, wie sie es für richtig hielt.
    Sie wußte offenbar sehr genau, wann man einen Knicks zu machen und was man zu sagen hatte. Niemand brauchte sie daran zu erinnern.
    „Darf ich neben dir sitzen, Lisbeth?“ fragte ich.
    „Bitte schön!“ sagte Lisbeth, mich aufmerksam betrachtend. Sie rückte ihren Stuhl etwas zur Seite, um mir Platz
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