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Brann 02 - Blaue Magie

Brann 02 - Blaue Magie

Titel: Brann 02 - Blaue Magie
Autoren: Jo Clayton
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die Schleier durchdrang, die ihr Hirn umnachten wollten. Langsam, ganz langsam errang sie die Fähigkeit wieder, ihre geistigen Kräfte zusammenzufassen, doch deren Ballung bleib geringfügig, gleichsam ein Stecknadelkopf. Abermals saugte sie frische Kräfte auf, entzog sie den Gezeiten und dem Mondschein, den uralten Tiefen des Steins, auf dem sie stand, versorgte sich mit einem schwachen Zustrom von Kraft, der zuletzt, wenngleich nur knapp, dazu ausreichte, um sie einen Weg von dem Felsen erkennen und ihn dann mit ihrem erlahmten, gequälten Körper beschreiten zu lassen, bis sie am Ende eine dünne Schicht Erde betrat, auf der gräuliche, struppige Gräser wuchsen und niedrige, krumme Sträucher ihr Dasein fristeten. Nach wie vor fühlte sie sich wie halb ertrunken, während sie, blind vor Ermattung und Anstrengung, sich weiter, immer weiter landeinwärts schleppte, bis sie an eine Stelle kam, wo Bäume gediehen. Diese Bäume hatten die Blätter verloren, die aber noch nicht ganz vermodert waren, und in diesem Laub scharrte sie sich eine Grube, deckte sich mit Blättern zu, gönnte sich endlich Schlaf ...
    Sie erwachte am Spätnachmittag des folgendes Tages mit steifen, wehen Gliedern, sie hatte Hunger und Durst sowie im Mund den bitteren Geschmack von Seesalz und Grimm. Die Sommersonne schien heiß, und ihre Hitze machte die Luft in dem Espenhain schwül. Prellungen und sonstige körperliche Beschwerden legten der Frau müßiges Verharren nah, aber das Rumpeln in ihrem Bauch und der Schweiß, der an ihrem Leib klebte und juckte, gaben den Ausschlag zu dem Entschluß, doch zu handeln. Sie nahm allen Willen und den Rest ihrer Kräfte zusammen, kroch aus der Grube im Laub zog sich am glatten, brüchigen Stamm der nächststehenden Espe hoch.
    Sie lehnte sich an den Baum, verschaffte sich aus ihm einige neue Kraft, obwohl alle magischen Anwendungen ihren Preis hatten, der am Schluß den Vorteil allemal überstieg; sobald ihre Willenskraft nachließ, würde sie den Preis, einen hohen Preis, entrichten müssen. Dummheit, ja mehr als Dummheit war es gewesen, Kräfte damit zu verschwenden, dem Schiffsherrn und seiner Besatzung einen Fluch nachzuschleudern; was sie gestern so gedankenlos vergeudet hatte, mochte heute für sie den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Sie schnitt eine Grimasse, verdrängte alle Reue, kaum irgend etwas war fruchtloser, als über vergangene Fehler zu grübeln; wenn es aus ihnen etwas zu lernen gab, sollte man es lernen, dann empfahl es sich, sie zu vergessen, alle Kräfte für die Bewältigung des Heute einzusetzen, das für gewöhnlich ausreichende Schwierigkeiten bot. Sie machte innerlich einen Schlußstrich unter den gestrigen Tag und widmete ihre Überlegungen der gegenwärtigen Lage.
    Nahrung, Wasser und Unterschlupf benötigte sie. Und wohin sollte sie sich von hier aus wenden? Nahrung? Es war Sommer, es mußten Pilze, Beeren und, falls die dunkelgrünen Wipfel weiter im Landesinneren Eichen gehörten, Eicheln zu finden sein. Sie berührte ihre Arme, spürte die Messer unter den Ärmeln; sie hatte sie in den Fäusten behalten, als sie über Bord sprang, und nicht zu schwimmen begonnen, ehe sie sie in die Scheiden zurückgeschoben hatte. In der Nähe sprossen zahlreiche Schößlinge. Aus der faserigen Innenborke konnte sie Kordeln für Fallen herstellen, sogar für eine Schleuder, wenn sie ein Stück ihrer Bluse für die Schlinge opferte und ein paar glatte Steine fand. Ringsum regten sich Vögel, man vermochte sie zu hören, sie würden den Hunger und mit ihrem Blut auch ein wenig den Durst stillen, obzwar es, je mehr Zeit verstrich, immer dringlicher wurde, Frischwasser ausfindig zu machen, nicht nur wegen des Dursts, sondern auch, damit sie sich das getrocknete Salz von der Haut waschen konnte. Die Frau stieß sich von der Espe ab und krempelte die Ärmel auf. In welche Richtung soll ich gehen? Nachdem sie die steifen Finger bewegt hatte, bis sie wieder ein Messer zu halten imstande war, ohne befürchten zu müssen, daß es ihr aus der Hand fiel, schlitzte sie die Rinde eines Schößlings auf, der ungefähr den Umfang ihres Daumens hatte. Eine Deutung von Wasser würde ihr nicht helfen, sich richtungsmäßig zurechtzufinden, sie war weithin von Wasser umgeben und keine so gute Rutengängerin, als daß sie fähig gewesen wäre, Süß- von Salzwasser zu unterscheiden. Aber natürlich: Sie befand sich auf der Landzunge, die man Cheoneas Finger nannte, auf der einen Seite war das
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