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Brann 02 - Blaue Magie

Brann 02 - Blaue Magie

Titel: Brann 02 - Blaue Magie
Autoren: Jo Clayton
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Mond zeigte, der über den Bergen aufging, die den Zugang des Owlyner Tals wie schutzreiche Hände umfingen, wo der Fluß entsprang und in die fruchtbare Ebene strömte, die im Jahr drei Ernten hervorbrachte und in der die meisten Menschen dennoch ein bitterlich armes Dasein fristeten, schlimmer als in den kargeren, unwirtlicheren Bergen selbst die niedrigsten Bewohner. Während sie zerstreut die Münze rieb, als ob sie sie streichelte, sie mit ihrer Körperwärme erwärmte, blickte sie für längere Zeit den Mond an, mit einem Blick so leer wie ihr Geist. Am einen Ende der rechteckigen Münze befand sich ein kleines, rundes Loch; sie betastete es eine Weile. Harra mußte die Münze um den Hals getragen haben, wahrscheinlich an einem Kettchen oder einem Riemen. Kori legte das Stück aufs Fensterbrett; ihre Schultern hoben sich, als sie tief einatmete, senkten sich, als sie ausatmete. Sie kehrte zurück zu der Truhe und klaubte eine Rolle Lederriemen hervor. Sie hatte die Riemen einmal gebraucht und anschließend den Rest in einer bei ihr seltenen Anwandlung von Sparsamkeit aufgehoben. Sie schnitt ein Stück ab, das ausreichte, um die Münze, sobald sie am Riemen hing, zwischen den Ansätzen ihrer künftigen Brüste baumeln zu lassen, dann steckte sie sich die Münze unters Nachthemd. Danach stellte sie sich wieder ans Fenster und schaute noch einige Augenblicke lang hinauf zum Mond. Ich muß hinaus, dachte sie. Hier drin kann ich nicht nachdenken. Ich muß mir genau überlegen, wie ich vorzugehen habe. Bei den anderen Gelegenheiten, als sie sich aus dem Haus schlich, hatte sie jedesmal eine alte, aus dem Lumpensack entwendete Hose und ein ihr allmählich zu klein gewordenes ärmelloses Kleid angezogen. Diesmal jedoch hatte sie irgendwie das Empfinden, es sei unangebracht, sich so anzukleiden. Trotz der Gewagtheit ihres Verhaltens, der Schläge, die sie bekommen würde, falls man sie ertappte, der Schmach, die sie über ihre Verwandten und den gesamten Klan brächte, verließ sie das Haus so, wie sie war, den mageren, sehnigen Körper vom Nachthemd aus feinem, weißem Tuch, das sie sich am Webstuhl der Familie selber gewoben hatte, kaum verhüllt. Lautlos wie die Erdseele eines ermordeten Kindes huschte sie durchs Gebäude und zur Nebenpforte hinaus und entsann sich erst des Doppeldutzends Krieger, das man bei den Bewohnern des Tals einquartiert hatte, als sie den Schutz der Mauern längst verlassen hatte. Wie ein erschrockenes, nein, wie ein furchterfülltes Rehkitz rannte sie den Hang des Hügels aufwärts zu einer kleinen Lichtung, in deren Mitte eine riesige Eiche emporragte, eine Eiche, von der Kori immer das Gefühl gehabt hatte, sie müßte so alt sein wie das aus Fels gewachsene Gebein der Erde.
    Kori schlenderte durch mit Tau getränktes Gras; die Kälte verursachte ihren Füßen Beschwerden, aber sie tanzte langsam um den Rand der Lichtung, durchs von Schatten getupfte Mondlicht, tanzte immerzu rund um die Lichtung, sang stumm einen Gesang, der nicht mehr als vier Töne umfaßte, sang sich immer tiefer in Trance, tanzte stets weiter, weiter, näherte sich nach und nach dem Mittelpunkt der Lichtung, bis sie die Arme spreizte und den Baum umarmte, ihn ein letztes Mal umrundete, den trockenen Geruch des dunklen Stamms einsaugte, ihre Brüste, den Bauch und die Schenkel an der brüchigen, rauhen Borke rieb. Sobald sie die letzte Umrundung beendet hatte, ließ sie sich geschmeidig niedersinken, kauerte sich zwischen zwei dicke Wurzelstrünke, die aus Schichten abgestorbener, modriger Blätter hervorschauten. Mit gedämpftem Aufseufzen schloß sie die Augen, und es hatte den Anschein, daß sie einschlief.
    Und während sie allem Anschein nach schlummerte, schien sich eine düstere, dünne Gestalt aus dem Baum zu lösen und über sie zu beugen, sehr langes, graubraunes Haar umwallte das hagere, spitze Gesicht wie Nebel; ein geschlechtsloses Gesicht, das etwas von einer gespenstischen Schönheit hatte, die indes Häßlichkeit gewesen wäre, hätte das Gesicht aus Fleisch und Blut bestanden. Lange, anmutige Finger aus braunem Glas schienen Koris Gesicht zu streicheln, erst lächelte, dann seufzte sie. Die braunen Glasfinger schienen den Lederriemen zu berühren, vor Abscheu zurückzufahren, die Schaumünze unterm Nachthemd hervorzuholen, sie ebenfalls zu streicheln, während die Erscheinung lächelte; dann schien sie die Münze in einer Hand zu halten und die andere, lange, lange Hand über Koris Gesicht zu
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