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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen
Autoren: Dean R. Koontz
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Aber die weiter in ihm schwellende Furcht war anders als die, die er im Wald empfunden hatte. Sein Herz trommelte nicht mehr. Der kalte Schweiß auf seinen Händen und seiner Stirn war getrocknet. Das seltsame Prickeln am Nackenansatz und auf der Kopfhaut war verschwunden - schon die Erinnerung daran schien unwirklich. Jetzt machte ihm nicht mehr irgendein unbekanntes Geschöpf Angst, sondern sein eigenes seltsames Verhalten. Jetzt, da er aus dem Wald und in Sicherheit war, konnte er das Ausmaß des Schreckens, der ihn gepackt hatte, nicht mehr ganz ins Gedächtnis zurückrufen, und deshalb erschien ihm sein Handeln als irrational. Er zog die Handbremse und schaltete den Motor ab. Es war elf Uhr, und der Trubel des vormittäglichen Verkehrs war vorbei; nur noch gelegentlich kam ein Wagen auf der zweispurigen, asphaltierten Landstraße vorüber. Er saß einen Augenblick da und versuchte sich einzureden, daß er nach Instinkten gehandelt hatte, die gut, richtig und verläßlich funktionierten. Er war stets auf seinen unerschütterlichen Gleichmut und seine dickschädelige Nüchternheit stolz gewesen - wenn schon auf sonst nichts. Er konnte inmitten eines Freudenfeuers kühl bleiben. Er konnte, falls er dazu gezwungen war, harte Entscheidungen fällen und die Konsequenzen auf sich nehmen. Nur - es fiel ihm zunehmend schwer, zu glauben, daß ihn dort draußen tatsächlich ein fremdartiges Wesen beschlichen habe. Er fragte sich, ob er das Verhalten des Hundes falsch ausgelegt, sich die Bewegung im Unterholz eingebildet habe, bloß um sich einen Vorwand zu liefern, sein Selbstmitleid zu vergessen. Er stieg aus dem Wagen und ging nach hinten, wo er sich von Angesicht zu Angesicht dem Retriever gegenübersah, der auf der Ladefläche stand. Der Hund schob seinen breiten Kopf nahe heran und leckte ihm Hals und Kinn. Obwohl er vorher nach ihm geschnappt und gebellt hatte, war er anschmiegsam, und zum erstenmal kam Travis sein zerzauster Zustand komisch vor. Er versuchte den Hund von sich abzuhalten, aber der strebte vorwärts, kletterte in seinem Eifer, ihm das Gesicht zu lecken, fast über die Brücke. Travis lachte und fuhr ihm durch das verfilzte Fell. Die Ausgelassenheit des Retrievers, sein hektisches Schweifwedeln hatten eine unerwartete Wirkung auf Travis. Lange Zeit war sein Bewußtsein ein finsterer Ort gewesen, angefüllt mit Todesgedanken, die schließlich ihren Höhepunkt in der heutigen Reise gefunden hatten. Aber die unverhohlene Freude dieses Tieres am Leben war wie Scheinwerferlicht, das Travis' innere Düsternis durchstieß und ihn daran erinnerte, daß das Leben auch hellere Seiten hatte, von denen er sich vor langer Zeit abgewendet hatte.
    »Was hatte das alles nur zu bedeuten?« fragte er laut. Der Hund hörte auf, ihn abzulecken, hörte auf, mit dem schmutzverkrusteten Schweif zu wedeln, schaute ihn ernst an, und plötzlich fühlte Travis den bohrenden Blick der sanften, warmen braunen Augen des Tieres auf sich gerichtet. Etwas in ihnen war ungewöhnlich, unwiderstehlich. Travis war wie hypnotisiert, und der Hund schien in gleicher Weise in den Bann gezogen. Aus dem Süden wehte eine milde Frühlingsbrise. Travis suchte in den Augen des Hundes nach etwas, das deren besondere Kraft und Wirkung erklärte, sah aber nichts Ungewöhnliches; nur... nun, sie kamen ihm irgendwie ausdrucksvoller vor, als das Hundeaugen gewöhnlich waren: klüger, wacher. Bedachte man, wie kurz die Aufmerksamkeit eines beliebigen Hundes dauerte, dann war der unverwandte Blick des Retrievers verdammt ungewöhnlich. Als die Sekunden vergingen und weder Travis noch der Hund den Blickkontakt lösten, wurde ihm zunehmend eigenartig zumute. Ein Frösteln durchlief ihn, ausgelöst nicht von Furcht, sondern dem Gefühl, daß hier etwas Unheimliches geschah, daß er an der Schwelle einer schrecklichen Entdeckung stand. Dann schüttelte der Hund die Mähne, leckte Travis die Hand, und der Zauber war gebrochen.
    »Woher kommst du. Junge?« Der Hund legte den Kopf nach links.
    »Wem gehörst du?« Der Hund legte den Kopf nach rechts.
    »Was soll ich mit dir machen?« Wie als Antwort darauf sprang der Hund über die Ladebrücke, rannte an Travis vorbei zur Fahrertür und kletterte ins Fahrerhaus des Pick-up. Als Travis hineinschaute, saß der Retriever auf dem Beifahrersitz und blickte durch die Windschutzscheibe geradeaus nach vorn. Er drehte sich zu ihm und gab ein leises Wwufff von sich, als hätte Travis' Zögern ihn ungeduldig
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