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Braig & Neundorf 12: Schwabenehre

Braig & Neundorf 12: Schwabenehre

Titel: Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Autoren: Klaus Wanninger
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nicht mehr schnell genug in ihren normalen Rhythmus zurückkehrten, dann wurden nicht etwa die therapeutischen Methoden überprüft und verändert, sondern die Kriterien verschärft, die es erlaubten, Hilfe zu beanspruchen. Je schlechter bezahlt der Job, desto höher das Limit, Anspruch auf eine Therapie zu erhalten, das war die Faustregel. Schlecht bezahlte Arbeiter, so die Erfahrung, begehrten selten auf, verfügten meist auch nicht über die Information, wie sie sich wehren sollten. Sie hatten schlicht und einfach keine Chance.
    »Und wenn er ganz aufhören würde? Ich meine, sind Sie allein auf das Verdienst Ihres Mannes angewiesen?«, fragte Neundorf.
    Christa Wössner schaute ihr lange in die Augen. Sie will sehen, ob ich es weiß, überlegte die Kommissarin, ob ich deswegen so dämliche Fragen stelle. »Sie haben keine Arbeit?«
    Die Antwort der Frau ließ nicht lange auf sich warten. »Sie wissen es doch genau«, sagte sie, »weshalb reden Sie so um den heißen Brei?«
    »Sie sprechen von Ihrer Entlassung?«
    »Sie haben es garantiert in ihrem Computer«, meinte Christa Wössner.
    »Ich würde es aber gerne von Ihnen selbst hören.«
    Die Frau stand auf, griff nach einer Tasche, die an der Wand abgestellt war, zog ein paar Bogen Papier daraus hervor. »Ich habe genau gewusst, dass Sie damit kommen«, erklärte sie. Sie nahm eines der Blätter, legte es vor sich auf den Tisch. »Ich arbeitete achtundzwanzig Jahre bei der Firma. Ersparen Sie es mir, den Namen zu nennen. Das dürfen Sie mir nicht zumuten. Achtzehn Jahre lang war ich im Betriebsrat. Das ist nicht gern gesehen. Am liebsten hätten die nämlich keinen Betriebsrat. Wenn es nach denen ginge …«
    »Ich weiß«, sagte Neundorf, »ich kenne die Praktiken dieser Konzerne. In Ihrem Fall ist es dieselbe Firma, die auch den Ludwigsburger Tankstellenshop betreibt?«
    »Dieselbe, ja. Vor drei Jahren konnte ich ihnen nachweisen, dass sie einen großen Teil der Verkäuferinnen weit unter Tarif bezahlen. Seit mehreren Jahren schon. Jeden Monat etwa zwanzig Prozent weniger als das, was in den Verträgen stand. Das heißt, die Frauen erhielten weniger Geld als unterschrieben und mussten dafür auch noch eine Stunde pro Tag länger arbeiten. Die Firma versuchte das totzuschweigen, drohte mir mit Kündigung beim kleinsten Fehlverhalten. Da ging ich an die Presse und hatte Glück: Zwei Journalisten griffen es auf und brachten es groß heraus. Die mussten Millionen Euro nachzahlen.«
    »Seither standen Sie auf der Abschussliste.«
    »Ich war so naiv, zu glauben, dass die mich in Ruhe lassen würden, weil alles groß in der Presse war. Das hielt aber nur zwölf Monate. Kaum war die Sache aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwunden, stellten sie mich kalt. Auf dieselbe Methode, wie sie es mit unzähligen anderen Beschäftigten, die sich ebenfalls im Betriebsrat engagiert hatten, auch schon getan haben. Die Sache ist ganz einfach: Eine einzige intrigante Kollegin beschuldigte mich, den Getränkebon im Wert von 1.30 Euro, den eine Kundin verloren habe, eingelöst zu haben. Das war Lüge. Ich habe nur unserer kranken, alleinstehenden Nachbarin ihre Einkäufe besorgt und ihre Pfandflaschen eingelöst, sogar außerhalb meiner Dienstzeit. Die Kollegin, die inzwischen meinen ehemaligen Job als Filialleiterin ausübt, behauptete dagegen, sie habe genau gesehen, dass der Bon einer Kundin aus der Tasche gefallen war. So läuft das heute.«
    »Wegen 1.30 Euro gekündigt?«, fragte Ohmstedt. »Und Sie haben sich nicht gewehrt?«
    »Nicht gewehrt? Ich ging vor Gericht«, erklärte Christa Wössner, »aber nur, weil mir meine Gewerkschaft finanziell unter die Arme griff.«
    »Und? Wie ging es aus?«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Doch«. Neundorf zog den Artikel, den ihr Thomas Weiss gegeben hatte, aus ihrer Tasche, reichte ihn ihrem Kollegen. »Es gab eine ganze Menge ähnlicher Gerichtsverfahren. Thomas hat sie alle aus verschiedenen Zeitungen ausgegraben. Die Frauen, fast alle Mitglieder des jeweiligen Betriebsrates, haben alle verloren. Ich wiederhole, alle.«
    »Ich bin gebrannt«, erklärte Christa Wössner. »Mir gibt niemand mehr einen Job. Wenn Herbert nicht mehr kann, bleibt uns nur Hartz IV.«
    »Mein Gott«, stöhnte Ohmstedt, »und wir schimpfen über Bananenrepubliken in Afrika.«
    »Damit sind wohl alle Unstimmigkeiten über den Ludwigsburger Tankstellenüberfall geklärt«, meinte Neundorf. Sie griff nach der Kladde, zog die Quittungen aus Bulgarien und Rumänien
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