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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Autoren: Christopher McDougall
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woran er sich erinnert, war diese Szene: Er blinzelte in die hellen Lampen der Notaufnahme des Boulder Community Hospital, seine Augen waren blutverkrustet, die Stirn war voller Stiche. Nach seiner vagen Erinnerung war er auf einem Kiesstreifen weggerutscht und über den Lenker geflogen.
    »Sie haben Glück, dass Sie noch leben«, sagte der Doktor zu ihm, und so konnte man das auch sehen. Andererseits war der Tod nach wie vor ein Problem, das über ihm schwebte. Micah war vor kurzem 41 Jahre alt geworden, und trotz seiner herausragenden Leistungen im Ultralangstreckenlauf sah die Zukunft für ihn – von dieser fahrbaren Krankentrage in der Notaufnahme aus betrachtet – nicht besonders rosig aus. Er hatte keine Krankenversicherung, kein Zuhause, keine nahen Verwandten und keinen festen Arbeitsplatz. Er hatte nicht genug Geld, um zur Beobachtung über Nacht im Krankenhaus zu bleiben, und er hatte kein Bett, auf dem er sich erholen konnte, wenn er das Krankenhaus verließ.
    Er hatte sich dafür entschieden, arm und frei zu leben, aber wollte er auch so sterben? Eine Freundin bot Micah einen Schlafplatz auf ihrem Sofa an, wo er sich ausruhen konnte, und dort, in den nächsten paar Tagen, dachte er über seine Zukunft nach. Nur glückliche Rebellen verschwinden mit einem Glorienschein aus der Welt, das wusste Micah sehr gut. Seit seiner Grundschulzeit, seit der zweiten Klasse, hatte er Geronimo bewundert, den tapferen Apachenhäuptling, der der US-Kavallerie in der Wildnis von Arizona immer wieder zu Fuß entkam. Aber wie hatte Geronimo geendet? Er starb als Gefangener, in einer staubigen Reservation, betrunken in einem Graben liegend.
    Sobald sich Micah erholt hatte, fuhr er nach Leadville. Und dort, bei einem magischen nächtlichen Lauf durch die Wälder mit Martimano Cervantes, fand er seine Antworten. Geronimo konnte nicht ewig in Freiheit laufen, aber vielleicht konnte das ein »Gringo-Indio«. Ein Gringo-Indio, der niemandem etwas schuldig war, niemanden brauchte und keine Angst davor hatte, von diesem Planeten zu verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

    »Von was lebst du dann?«, fragte ich.
    »Von Schweiß«, sagte Caballo. Jeden Sommer verlässt er seine Hütte und fährt per Bus zurück nach Boulder, wo sein uralter Pick-up hinter dem Haus eines freundlichen Farmers auf ihn wartet. Zwei oder drei Monate lang nimmt er die Identität von Micah True wieder an und verdient sich sein Geld auf eigene Rechnung mit Möbeltransporten. Sobald er so viel beisammen hat, dass es wieder für ein Jahr reicht, fährt er zurück, verschwindet wieder auf dem Canyongrund und legt die Sandalen von Caballo Blanco an.
    »Wenn ich dann zu alt zum Arbeiten bin, werde ich das tun, was Geronimo getan hätte, wenn sie ihn in Ruhe gelassen hätten«, sagte Caballo. »Ich gehe in die tiefsten Canyons und suche mir dort einen Platz, wo ich mich hinlegen kann.« In Caballos Mitteilungen fand sich nichts Melodramatisches, auch kein Selbstmitleid, nur die Einsicht, dass das Leben, für das er sich entschieden hatte, eines Tages einen letzten Akt des Verschwindens von ihm verlangen würde.
    »Vielleicht sehe ich euch ja alle wieder«, schloss Caballo, während Tita die Lichter löschte und uns ins Bett scheuchte. »Vielleicht auch nicht.«

    Die Soldaten von Urique warteten am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang neben dem alten Minibus, der vor Titas Restaurant parkte. Bei Jenns Ankunft nahmen sie Haltung an.
    »Hasta luego, Brujita«, riefen sie.
    Jenn warf ihnen mit einer weit ausholenden Geste Leinwandschönheiten-Küsse zu und stieg ein. Barfuß-Ted war der Nächste, und er stieg sehr behutsam ins Fahrzeug. Seine Füße waren so dick verbunden, dass sie kaum mehr in die japanischen Badeschlappen passten. »Ist wirklich nichts Schlimmes«, versicherte er. »Sind nur ein bisschen mürbe.« Er zwängte sich neben Scott, der bereitwillig zur Seite rutschte, um ihm Platz zu machen.
    Wir anderen stiegen nacheinander ein und machten es unseren geschundenen Körpern für die holprige Fahrt, die uns bevorstand, so bequem wie möglich. Der Tortillabäcker des Dorfes (der außerdem der Dorffriseur, Schuhmacher und Busfahrer ist) setzte sich ans Steuer und ließ den scheppernden Motor an. Draußen gingen Caballo und Bob Francis am Bus entlang und drückten die Hände gegen jedes einzelne Fenster.
    Manuel Luna, Arnulfo und Silvino standen neben ihnen, als der Bus abfuhr. Die anderen Tarahumara hatten sich bereits auf den langen Weg nach Hause
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