Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Autoren: Christopher McDougall
Vom Netzwerk:
fallen, die auf Ausweichen und Tänzeln setzte. Stattdessen stürmte er selbstsicher durch den Ring und deckte Shepherd mit einem furiosen Sperrfeuer von linken und rechten Geraden ein. »Er hat nicht begriffen, was ich da tat, also hat er sich gut gedeckt in die Ringecke zurückgezogen, um es von dort aus herauszufinden«, sollte sich Micah erinnern. Micah setzte mit der Rechten zu einem Schwinger an, hatte dann aber eine bessere Idee. »Ich hab ihn so heftig ins Gesicht getreten, dass ich mir einen Zeh gebrochen habe«, sagt Micah. »Und seine Nase.«
    Dingdingding .
    Micahs Arm wurde in die Höhe gereckt, während ein Ringarzt Shepherds Augen untersuchte, um sicherzugehen, dass sich die Netzhäute nicht abgelöst hatten. Noch ein K. o.-Sieg für den Gypsy Cowboy.
    Er konnte es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen und dort mit Melinda zu feiern. Aber Melinda, so sollte er dann feststellen, hatte ihrerseits einen K. o.-Schlag anzubringen. Und bereits lange vor dem Ende dieser Unterhaltung – lange bevor sie ihm von der Affäre und von ihrem Plan berichtet hatte, ihn wegen eines anderen Mannes zu verlassen und nach Seattle zurückzugehen – brummte Micah vor lauter Fragen der Schädel. Die Fragen gingen aber nicht an sie, sondern an ihn selbst.
    Er hatte eben erst bei einem landesweit übertragenen Kampf einem Mann das Gesicht zertrümmert. Und warum? Um in den Augen eines anderen Menschen toll dazustehen? Um ein Leistungssportler zu sein, dessen Erfolge nur durch die Zuneigung einer anderen Person zu messen waren? Er war nicht dumm. Er sah die Verbindung zwischen dem nervösen Jungen mit dem knallharten Vater und dem einsamen, nach Liebe suchenden und ziellosen Menschen, zu dem er geworden war. War er, um es mit anderen Worten zu sagen, ein großer oder nur ein bedürftiger Kämpfer?
    Wenig später rief die Zeitschrift Karate an. In Kürze würden die Ranglisten zum Jahresende veröffentlicht, sagte der Reporter, und der Überraschungssieg habe den Gypsy Cowboy in der Halbschwergewichtsklasse der Kickboxer in Amerika auf Rang fünf katapultiert. Der Cowboy stand vor einem großen Karrieresprung. Wenn Karate erst einmal an den Kiosken auslag und die Angebote reihenweise eingingen, würde er zahlreiche mit sehr viel Geld dotierte Gelegenheiten haben, bei denen er herausfinden konnte, ob er das Kämpfen wirklich liebte oder ob er kämpfte, um geliebt zu werden.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Micah dem Reporter, »aber ich habe gerade beschlossen, meine Karriere zu beenden.«

    Den Gypsy Cowboy verschwinden zu lassen war sogar noch einfacher, als Mike Hickman loszuwerden. Alles, was Micah nicht bei sich tragen konnte, wurde aufgegeben. Das Telefon wurde abgemeldet, die Wohnung verlassen. Ein Chevrolet-Pick-up Baujahr 1969 wurde sein Zuhause. Er nächtigte in einem Schlafsack hinter dem Fahrersitz. Tagsüber verdiente er sich seinen Lebensunterhalt durch Rasenmähen und Möbeltransporte. Jede freie Stunde zwischen solchen Jobs nutzte er zum Laufen. Wenn Melinda nicht mehr mit ihm leben wollte, suchte er sein Heil eben in der Erschöpfung. »Ich bin um halb fünf Uhr morgens aufgestanden und dreißig Kilometer gelaufen, und das war was Wunderbares«, sagte Micah. »Dann habe ich den ganzen Tag gearbeitet und wollte dieses Gefühl wieder. Also bin ich nach Hause gegangen, habe ein Bier getrunken, ein paar Bohnen gegessen und bin nochmal gelaufen.«
    Er hatte kein Gefühl dafür, ob er nun schnell oder langsam, talentiert oder schrecklich unbegabt war, bis er 1986 an einem Sommerwochenende nach Laramie in Wyoming fuhr, um sich dort beim Rocky Mountain Double Marathon zu versuchen. Zu seiner eigenen Überraschung gewann er mit einer Zeit von sechs Stunden und zwölf Minuten, schaffte also die doppelte Marathonstrecke bei einem Querfeldeinlauf in jeweils knapp über drei Stunden pro Marathoneinheit. Ultralangstreckenlauf, so fand er heraus, war sogar noch härter als Profi kampfsport. Im Ring entscheidet der andere Kämpfer darüber, wie schwer man getroffen wird, aber auf der Laufstrecke ist man dafür selbst verantwortlich. Für einen Burschen, der sich selbst bis zum Zustand der Benommenheit quälen wollte, konnte der extreme Langstreckenlauf eine äußerst attraktive Sportart sein.
    Vielleicht könnte ich, wenn ich nur diese ständigen lästigen Verletzungen loswerde, sogar Profi werden … Dieser Gedanke ging Micah durch den Kopf, als er in Boulder mit dem Fahrrad eine steile Straße hinunterrollte. Das Nächste,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher