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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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hätte für uns. Während des Kriegs saß sie mal im Gefängnis, weil sie Essen besorgen wollte für ihre Familie. Ihre vier Kinder waren von vier verschiedenen Männern. Der Vater meiner Mutter war ein echter Steuermann und Seefahrer. Er war nur kurz mit meiner Oma zusammen gewesen. Später, da war ich so fünf Jahre alt, haben wir ihn mal besucht. Er war schon dement. Meinen Namen wusste er nicht mehr. Auch seine Tochter erkannte er nicht mehr. Stattdessen hat er versucht, sie anzubaggern. Geil war er noch, der alte Seemann. In jedem Hafen eine Braut, dachte er wohl.
    Der Opa, den ich »Opa« nannte, war Salvatore, ein Sizilianer, der in den Sechzigern nach Hamburg gekommen war und der zeit seines Lebens nur gebrochenes Deutsch mit starkem italienischem Akzent sprach. »Allo, wasse due make, eeee?« Oder: »Bisse due varrukte? Diä A-uto viele zu teure, eee!?« Die Männer meiner Oma wechselten, aber Salvatore blieb. Er war ein großer, kräftiger Mann, der schöne Anzüge trug und riesige Segelohren hatte. Salvatore war das geborene Schlitzohr, und dafür liebte ich ihn als kleiner Butsche. Von ihm habe ich wohl mein Faible für das Luxuszeugs, für gute Klamotten, schöne Taschen, teuren Glitzerschmuck. Meine Eitelkeit und der Hang zur Promiskuität kommen von meiner Oma.
    Es gab so viel zu entdecken im Budapester Hof, und es roch so süß, so geheimnisvoll nach Abenteuer. Vorn im Betten Voss hab ich immer beobachten können, dass Männer gern mit Frauen reden, und dass andere Männer dann nicht reinquatschen sollten. Nur ich durfte immer Quatsch machen, auch wenn Joschi, Kalle, Heiner oder sonst wer mit einer Frau redete.
    Kurz nachdem wir aus dem Heizungskeller ausgezogen waren, eröffnete im Budapester Hof jemand einen Nachtclub. Das »Kit Kat«. Alle waren aufgeregt. Jeder wollte zur Eröffnung. Der ganze Kiez. Die Luden, die großen Mädchen, alle! Dann war es so weit. Auch ich war aufgeregt und konnte nicht schlafen, weshalb ich mit zur Eröffnung durfte. Es war laut, rauchig und dunkel. Aber ich konnte genau erkennen, dass meine Mutter mit dem Mann aus dem Fernsehen redete. Rudi Carrell war extra zur Eröffnung auf den Kiez gekommen, oder war er wegen meine Mutter da? Es machte fast den Anschein, denn die beiden redeten die ganze Zeit miteinander.
    Mir war die Musik im Kit Kat bald viel zu laut, und die Großen hatten anderes im Sinn, als mit mir zu spielen. Also machte ich mich auf in den Heizungskeller – wo ich mich ja bestens auskannte – und schlief ein. Morgens, als alle nach Hause gegangen waren, fand meine Oma mich. Sie behielt mich gleich das ganze Wochenende bei sich. Von da an war ich jedes Wochenende bei ihr. Von Freitag- bis Sonntagabend – meine Mutter hatte eine Sorge weniger.
    Ich durfte alles bei meiner Oma. Essen, wann ich wollte, Musik hören und fernsehen. Samstags versammelten sich meine Mutter und ich, Onkel Peter mit seiner Frau Mona und deren Töchter Nicole und Yvonne bei Oma. Nicole und Yvonne waren ungefähr so alt wie ich. Nicht jedes, aber fast jedes Wochenende durfte Yvonne auch dort übernachten. Wir schliefen zusammen auf der Couch, im Wohnzimmer. Weil meine Oma um eins in der Nacht runter zur Nachschicht an der Rezeption musste, legte sie sich schon am späten Nachmittag ins Bett und schlief. Für uns bedeutete das quasi sturmfreie Bude.
    Das ganze Hotel roch nach den Großen, nach diesem unbeschreiblich Süßen, nach diesem Verbotenen, das so irre wichtig schien für die Erwachsenen und das vor uns verborgen wurde. Niemand sprach jemals darüber, aber es hing in der Luft. Im ganzen Viertel und vor allem im Hotel nahm ich den süßlichen Geruch wahr. Er steckte in jeder Ecke, in jedem Winkel, in jeder Ritze von St. Pauli. Yvonne roch auch so. Immer, wenn wir die Pyjamas anzogen, konnte ich ihn ganz deutlich riechen – diesen süßlichen Geruch. Ich sog ihn mit der ganzen Kraft meiner Lungenflügel ein und hielt die Luft an, als hätte ich gerade dieses süße, blonde, blauäugige Ding da vor mir eingeatmet. Ich war verliebt. Glatte, dünne, blonde Haare und strahlend blaue Augen. Zarte, leicht gebräunte Haut, mit etwas Flaum bedeckt. Sie war so schön, so edel.
    Irgendwann durchwühlte ich vor lauter Langeweile die Schränke meiner Eltern und entdeckte Unglaubliches! Wahre Schätze an Büchern mit Fotos von diesem geheimnisvollen Spiel der Erwachsenen. Sie lutschten und leckten sich überall. Spielten mit Bällen und Bananen. Küssten sich, und manchmal hatten
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