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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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auf den ersten Blick gewesen sein, und weil es beide – wohl aus Karrieregründen – sehr eilig hatten, fuhren sie zu Mona und machten das Erwachsenenspiel.
    Die beiden kannten sich zwar erst ein paar Stunden, aber das reichte mir, um mich bei meiner Mutter einzunisten. Ich war also ein Kind der Liebe. Meine Mutter, die Ruth von der Feuerbachstraße, war erst siebzehn, als sie mich mit aller Gewalt aus ihrem Körper presste. Sie wollte mich loswerden. Man riet ihr: Du bist zu jung. Gib ihn zu vornehmen Eltern. Doch als ich auf ihrem Bauch lag, da sagte sie: »Das kann man doch nicht machen! Das macht man nicht!« Ich hab sie ausgetrickst. Ich tat so, als könnte ich nicht alleine. Also blieben wir zusammen, und meine Mutter suchte einen Namen für mich. Den hatte sie schnell gefunden: Michel. Aber nicht nach dem Hamburger Michel. Meine Mutter liebte die französischen Filmstars der Sechziger, deshalb wird mein Name französisch ausgesprochen. Mit siebzehn ist man anfällig für große Bilder, für große Sehnsüchte. Besonders die französischen scheinen in den eigenen Träumen zu glitzern wie Brillanten. Das Französische war die Sehnsucht meiner Mutter nach einem anderen Leben, nach einem anderen Ich. Sie wünschte sich, dass ich nicht so ein Leben hätte, wie sie es führte. Ich sollte nicht in der schattigen Halbwelt von St. Pauli wohnen und arbeiten. In dieser Welt wird man ohne das rechte Glück und eigene Stärke zum Gefangenen seiner Umgebung, seiner eigenen Schwächen und Sehnsüchte. So legte mir meine Mutter die Sehnsucht nach einem anderen Leben also schon ins Nest: MICHEL!
    Die Geburt war das intimste Erlebnis, das ich mit meiner Mutter haben sollte. Danach entfernten wir uns rasch voneinander. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Sie mit ihrer Karriere, ich mit meiner. Ich war meinem Vater im Wesen und Aussehen zu ähnlich, als dass meine Mutter mich hätte bedingungslos lieben können.
    Mein Vater verdiente vierzig- bis fünfzigtausend Mark im Monat. In den frühen Siebzigern war das Geschäft mit der Liebe prall und reich. Es war der historische Orgasmus des liegenden Gewerbes. St. Pauli glühte und glänzte. Doch meine Mutter verdiente erst mal nichts. Deswegen musste ich zunächst sechs Monate im Krankenhaus bleiben. Dann holte meine Oma uns zu sich ins Hotel. In den »Budapester Hof«. Ein Stundenhotel. Die nächste Zeit meines jungen Lebens verbrachte ich im Heizungskeller des Hotels. Wie zur gleichen Zeit die RAF, ich ging in den Untergrund.
    An der Ecke des Hotels gab es eine Kneipe namens »Voss«, damals bekannt als Betten Voss. Durch einen Gang waren Betten Voss und das Hotel miteinander verbunden. Es kam ja vor, dass die Kneipengäste müde wurden, ein Nickerchen halten wollten oder aus irgendeinem anderen Grund, den ich nicht kannte, ins Bett mussten. Dann konnten sie durch diesen Gang schnell das Hotel erreichen. Tatsächlich erinnere ich mich noch, wie ich hinten in der Küche vom Betten Voss gewickelt wurde, von Martha, einer Putzfrau.
    Im Betten Voss war es lustig. Morgens war es dort bereits rummsvoll. Da gab es die »Christel von der Post« und »Linchen«, die für ’n Korn ihren Rock hochzog, um zu zeigen, dass sie keine Unterwäsche trug. Beide waren schon damals über siebzig und beide tanzten noch immer jeden Tag im Betten Voss auf den Tischen. Es gab eine Frau, die alle nur »Kommpott Hüttchen« nannten. Die ging mit den Männern immer aufs Zimmer. Dann gab es noch eine andere Ruth. Die war auf einmal nicht mehr da, von heute auf morgen verschwunden, weg. Später hat man sie dann gefunden. Bei Honka, dem Frauenmörder, der auch Stammgast im Betten Voss war. Honka hatte Ruth eingemauert. Niemand hat nach Ruth gesucht oder sie bei der Polizei als vermisst gemeldet. Erst als ein halbes Jahr später in Honkas Haus ein Feuer ausbrach, fand man die Leiche.
    Es trieben sich eine Menge komischer Leute im Betten Voss herum. Zum Beispiel der Besitzer der »Köllnflocken«-Werke. Er kam jedes Wochenende; und weil sein Geld so schön locker flockig in seiner Tasche lag, nannte man ihn die »Goldflocke«. Oder »Vossi, der Millionendieb«. Bei ihm kaufte meine Oma für Mona und meine Mutter immer die schönsten Sachen: Pelze, Lederjacken, Schmuck und alles, was Vossi sonst noch so in den Villen von Blankenese fand. Der reinste Basar im Betten Voss. Vossi bot meiner Oma immer alles zuerst an. Es war eine lustige Welt, und sie gefiel mir. Ich lief den Erwachsenen durch die Beine, auf
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