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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax
Autoren: Paul Torday
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hatte.«
    »Warum habe ich ihn bloß
eingeladen?«, sagte Ed. »Ich weiß nicht mehr über ihn als am ersten Tag, als
ich ihn kennenlernte. Irgendwie ist er aus dem Nichts in unser Leben
hereingeschneit. Mister Nobody.«
    »So ist das immer bei dir, Ed. Erst
begeisterst du dich für Leute, dann langweilen sie dich.«
    »Was soll denn das heißen?«, fragte
Ed wütend.
    Das wollte ich mir eigentlich nicht
länger antun. Ich lauschte gegen meinen Willen, aber wenn ich mich jetzt
bewegte, konnten sie mich vielleicht hören oder sehen.
    »Das weißt du ganz genau.«
    Es folgte eine Pause, dann sprach Ed
erneut. »Und noch etwas. Es gefällt mir nicht, wie er dich anguckt.«
    Catherine erwiderte in scharfem Ton:
»Wie guckt er mich denn an, Ed? Er kann mich angucken, wie er will. Ich gehöre
dir nicht. Du bist nur schlecht gelaunt, weil du heute nicht viel geschossen
hast.«
    »Das muss ich mir in meinem eigenen
Haus nicht bieten lassen«, sagte Ed. Irgendein Gemurmel war zu hören, weiter
weg, das ich nicht verstehen konnte, dann fiel mit lautem Krach eine Tür zu. Es
klang so, als hätte es einen Streit gegeben.
    Ich blieb so lange sitzen, bis ich
überzeugt war, dass sich niemand mehr in der Nähe des Fensters aufhielt. Ewig
konnte ich hier sowieso nicht bleiben, also stand ich auf. Tränen brannten mir
in den Augenwinkeln. Ich konnte nicht glauben, was Ed gerade gesagt hatte. Er
war doch sonst so nett zu mir gewesen, immer wenn wir uns gesehen hatten,
freundlich, charmant und rücksichtsvoll. Wie hatte er mich gerade genannt?
Mister Nobody.
    Ich ging bis zum Fuß des
abschüssigen Gartens, wo der zottelige Rasen in ein Dickicht aus Schottischen
Kiefern überging. Sollten mir gleich wirklich die Tränen über die Wangen
laufen, wollte ich nicht, dass das jemand sah. Ich fühlte mich gedemütigt und
enttäuscht, doch die Stimme der Vernunft sagte mir: »Mister Nobody. Das trifft
es haargenau.« Ich wusste ja nicht einmal, wer meine leiblichen Eltern waren.
Was ich vom Leben wusste, hatte ich am Computer gelernt, vor dem ich die
letzten zehn, fünfzehn Jahre gehockt hatte. Kein Wunder, dass Ed mich
langweilig fand. Alle fanden mich nach einer gewissen Zeit langweilig. Ich fand
mich ja selbst langweilig. Jeder, der mich eigentlich lieben sollte, verließ
mich.
    Eine Viertelstunde stand ich
zwischen den Bäumen und bemitleidete mich selbst, bis ich mich endlich wieder
beruhigt hatte. Eigentlich war es doch egal, dachte ich mir. Irgendwie würde
ich den Abend schon überstehen und morgen zusammen mit Francis nach Hause
fahren; danach brauchte ich keinen von denen mehr wiederzusehen. Ich
versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen, und stellte fest, dass ich meine
Lippen zu der Andeutung eines Grinsens auseinanderziehen konnte. Wenigstens
das, wenigstens konnte ich wie ein normaler Mensch aussehen, auch wenn mir
anders zumute war.
    Ich ging zurück ins Haus, die Treppe
nach oben in mein Zimmer. Auf dem Flur begegnete ich Ed, der, mit einem Tuch um
die Hüfte, aus dem Badezimmer kam.
    »Das Bad ist jetzt frei,
Wilberforce«, sagte er. »Wenn Ihnen ein paar Wasserpfützen auf dem Boden nichts
ausmachen.«
    »Danke«, sagte ich und wollte mich
an ihm vorbeiquetschen.
    Er hinderte mich daran, indem er
mich am Arm packte und sein charmantestes Lächeln aufsetzte. »Herzlichen
Glückwunsch zu Ihrem ersten Moorhuhn, Wilberforce. Es freut mich sehr«, sagte
er. »Wir nehmen Sie auf jeden Fall wieder mit zur Jagd. Sie haben heute
großartig geschossen. Bob hat es mir gesagt. Demnächst mausern Sie sich noch zu
einem besseren Schützen als wir alle. So weit kommt es noch.«
    »Vielen Dank, Ed«, sagte ich auch
noch brav, »dass Sie mir Gelegenheit dazu geben.«
    Er löste seinen Klammergriff, seine
Augen blieben auf mich gerichtet, tanzten, wollten geliebt werden, wollten
bewundert werden, verlangten nach Bestätigung. Er lächelte immer noch.
    »Wir nehmen Sie wieder mit«,
versprach er mir. »Es ist immer eine Freude, wenn jemand seinen ersten Vogel
schießt. Immer ein besonderer Moment.« Er klopfte mir zweimal rasch auf die
Schulter und ging zurück in sein Schlafzimmer.
    Ich ging auf mein Zimmer, zog mich
aus, um mich zu waschen, und ich fragte mich, ob ich draußen auf der Bank,
unterhalb von Eds Fenster, wirklich dieses Gespräch gehört hatte.
    Ed konnte so charmant sein, wenn er
wollte.
     
    5
     
    Es ist Abend, und ich sitze draußen
auf einer Terrasse der Lodge auf einer Steinbank. Heinrich Carinthia hat es
sich ein paar
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