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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax
Autoren: Paul Torday
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Entzug gemacht, habe ich alles gemacht, Colin. Aber den ganzen Wein,
den Francis mir hinterlassen hat, nicht zu trinken, das kommt mir immer vor wie
ein Verbrechen. Ich bin kein Alkoholiker. Ich trinke nur gerne Bordeaux.«
    Colin schüttelte den Kopf und sah
wieder auf die Uhr. »Unten ist eine Krankenschwester«, sagte er. »Sie heißt
Susan. Ich habe mit ihr ausgemacht, dass sie ein paar Tage bleibt. Sie kümmert
sich um dich, und sie soll aufpassen, dass du keinen Alkohol trinkst. Im Moment
könnte jeder Tropfen Alkohol, egal in welcher Form, tödlich sein. Ich muss
jetzt zu einer Sprechstunde, danach gehe ich in mein Büro, um die Ergebnisse
von einigen Tests zu holen, die wir an dir vorgenommen haben, als sie dich zu
Hause ablieferten. Heute Abend komme ich wieder, um nachzusehen, wie es dir
geht, dann wissen wir auch, was die Testergebnisse besagen. Du bleibst bis
dahin am besten im Bett und hältst dich so warm wie möglich. Schwester Susan
kommt gleich rauf und sieht nach dem Rechten.«
    Er lächelte mir wieder zu,
freundlich, aber nichtssagend, und verließ das Zimmer. Ich hörte ihn die Treppe
hinuntergehen, dann wurde energisch die Haustür zugeknallt.
    Ich lag in meinem Bett und fühlte
mich elend. Die Verwirrung in meinem Kopf löste sich allmählich auf, aber alles
erschien mir wie unter einer Dunstglocke. Nicht nur mein Verstand, auch meine
Sicht war in Mitleidenschaft gezogen, und das Zimmer sah aus, als wäre Nebel
durch die Fenster eingedrungen, so dass, wo ich auch hinblickte, alle Umrisse
eingetrübt und verschwommen erschienen. Ich schüttelte meinen Kopf, aber er
wurde nicht klarer. Nach einer Weile merkte ich, dass ich meinen Blick aus der
seltsamen, wie blockierten Position lösen konnte. Ich sah auf das Bett, in dem
ich lag, und mir fiel das Pflaster auf meinem linken Handrücken auf, da, wo der
Tropf angeschlossen gewesen war. Unten hörte ich jemanden mit einem
Wasserkessel hantieren. Mein Gehör schien sich mit der Trübung meiner Sehkraft
entsprechend geschärft zu haben.
    Ich fror. Ich spürte die Wärme, die
die Heizkörper abstrahlten, aber sie drang nicht in mich ein. Stattdessen
empfand ich eine tiefe Kälte, ich zitterte und schlang die Bettdecke enger um
mich. Was hatte Colin gesagt? Wie lange hatte ich geschlafen? Ich versuchte mir
ins Gedächtnis zurückzurufen, was ich zu dem Zeitpunkt, als ich eingeschlafen
war, gerade gemacht hatte. Es war lächerlich, das Wort »Koma« dafür zu
benutzen. Dauernd versuchte Colin, mich mit solchem medizinischen Gewäsch
einzuschüchtern, aber das zog bei mir nicht. Und noch etwas: Wein als »Alkohol«
zu bezeichnen war unsensibel und grob. Ich kann nur vermuten, dass er mich
damit ärgern wollte.
    Der Gedanke an Wein brachte mich
wieder auf den Petrus. Wie köstlich der geschmeckt hatte! Wo und wann hatte ich
ihn getrunken? Catherine war dabei gewesen, so viel wusste ich noch, und sie
hatte mir etwas vorgesungen, während ich den wunderbaren schweren Wein
kostete.
    Ich sah auf die Uhr auf dem
Nachttisch, es war elf. An einem normalen Tag hätte ich meine erste Flasche
bereits halb leer getrunken. Es gab noch einen Grund, warum es falsch war,
mich als einen Alkoholiker zu bezeichnen: Einem Alkoholiker war es egal, ob der
Wein aus dem Karton oder aus der Flasche war. Er würde nicht erst bis zum
Frühstück warten, bis er seinen ersten Schluck trank; der erste Schluck war sein Frühstück. Er würde sein Getränk auch nicht meditativ zu sich nehmen
und sich auch nicht manchmal in einem kleinen schwarzen Lederbüchlein, bei
Smythsons gekauft, Notizen über die Kostprobe machen, so wie ich. Mein Trinken
ließ sich vermutlich durchaus als eine Form der Manie beschreiben, nicht viel
anders als das Sammeln von Schmetterlingen, Vogeleiern oder seltenen Büchern.
Vielleicht war es eine etwas teurere Manie als andere, aber dahinter steckte
die gleiche Passion: alles zu wissen und zu erwerben, was man über den
Gegenstand seiner Sammlung in Erfahrung bringen und was man hinzukaufen kann.
    In diesem Moment betrat die Person,
die Colin als Schwester Susan bezeichnet hatte, mit einer Tasse Tee in der Hand
mein Schlafzimmer. Ich verabscheue Tee. Ich roch sein widerliches Aroma. Ich
roch die Gerbsäure, schmeckte sie förmlich, die kalkige Färbung der Laktose -
von der Milch, die sie hineingeschüttet hatte -, den ekligen Beigeschmack von
Rüben - von dem weißen Zucker, den sie löffelweise in die Tasse geschaufelt
hatte. Mir wurde schlecht.
    Schwester
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