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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax
Autoren: Paul Torday
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Er trug ein Tweed-Jackett, darunter
ein kariertes Hemd, eine Krawatte mit blauen Punkten und eine Twill-Hose. Bei
jedem anderen hätte diese Kombination lächerlich ausgesehen, aber Colin kann
fast alles tragen, es wirkt immer elegant. Beruflich von Vorteil, wie ich fand.
Er vermittelt seinen Patienten ein Gefühl von Minderwertigkeit, worauf sie mehr
als bereit sind, alles zu befolgen, was er ihnen sagt. Als ich ihn
kennenlernte, war er auch nur einer unter den vielen aufsässigen, jungen
Medizinstudenten, obwohl sein properes Musterschüler-Äußeres ihn schon damals
aus der Riege der Pickeligen, Zottelbärtigen und ungewaschenen Lockenköpfe,
die den Rest von uns ausmachte, hervorhob.
    Nach dem Studium fand er eine
Anstellung in einer Praxis in Pimlico. Ein paar Jahre später heiratete er die
Tochter einer schwerreichen Londoner Familie von Rentiers und kaufte sich in
eine Privatpraxis am Eaton Place ein. Zu seinen Patienten zählten die führenden
Familien des Nahen Ostens, der Ukraine und Russlands. Mich hatte er vor zwei
Jahren als Patient aufgenommen, der alten Zeiten wegen.
    »Du hast nicht geschlafen. Du hast
im Koma gelegen.«
    Ich stierte geradeaus auf ein Bild
an der Wand gegenüber. Nach dem ersten Kontakt mit Colin war es mir jetzt zu
anstrengend, noch mal den Kopf zu wenden. Mein Blick schweifte nach oben an die
Zimmerdecke und blieb dort aus irgendeinem Grund kleben.
    »Im Koma?«, antwortete ich. »Ist das
nicht das Gleiche wie schlafen? Nur für länger?«
    Colin nahm mein Handgelenk, fühlte
den Puls und sagte nichts, aber ich wusste, dass er auf die Uhr guckte. Nach
kurzer Zeit ließ er meinen Arm fallen, als hätte er jedes weitere Interesse an
ihm verloren, und fragte: »Kannst du dich an irgendetwas erinnern? Wo du
gewesen bist? Was du gemacht hast, bevor du aufgewacht bist?«
    Sofort fingen die Bienen in meinem
Kopf an zu brummen. Erlebnisfragmente stürmten die Tore meiner Erinnerung und
verlangten lautstark meine Aufmerksamkeit. Ich war mit einer Avianca-Maschine
aus Medellin in Bogota eingetroffen. Medellin hatte ich überstürzt verlassen
müssen, wusste aber in meinem gegenwärtigen Zustand auch nicht mehr genau,
warum, und irgendwie war ich dafür dankbar. Jemand war mir in Medellin gefolgt,
und dieselbe Person verfolgte mich auch in Bogota. Ich betrat eines der
besseren Hotels, aber mein Verfolger wollte mir nicht hinterherkommen. Es
gelang mir, durch einen Seitenausgang zu entwischen, und ich ging die Straße
auf der Rückseite des Hotels entlang. Ein paar Häuserblocks weiter vernahm ich
plötzlich hastige Schritte hinter mir, die in der Straße nachhallten, und ich
hatte den Geruch in der Nase, der mir schon in Medellin aufgefallen war. Ein
unangenehmer Geruch. Sehr unangenehm. Ich drehte mich um, aber die Straße
hinter mir war leer. Der Bürgersteig glänzte vom letzten Regen. Ich konnte die
Angst förmlich schmecken im Mund. Dann erinnerte ich mich an einen anderen
Geschmack: die Würze und den Karamell des Petrus; und jetzt fiel mir ein, dass
ich etwas von dem 82er getrunken hatte, gerade eben.
    »Ich glaube, ich war in einem
Restaurant«, sagte ich zu Colin. »Ich habe Wein getrunken.«
    »Ja«, sagte Colin. »Stimmt. Du hast
sogar ziemlich viel Wein getrunken, wie man mir berichtet hat.«
    »Es war ein Petrus«, sagte ich nur.
    »Sieh mich an, Wilberforce«, befahl
Colin mir in scharfem Tonfall.
    Ich wollte Colin ins Gesicht sehen,
ich wollte ihm erklären, wie gut der Wein gewesen war, aber ich konnte meinen
Blick einfach nicht von der Decke lösen. Anscheinend kostete es zu viel Kraft,
die Augen zu bewegen.
    »Mir geht es gut so weit«, sagte
ich.
    »Dir geht es überhaupt nicht gut«,
erwiderte Colin. Ich hörte seinen Stuhl über den Boden scharren, als er ihn
nach hinten stieß, dann kam er herum und stellte sich an das Fußende des
Bettes. Jetzt musste ich ihn ansehen, das heißt, seinen Haaransatz. Meine Augen
weigerten sich standhaft, bis hinunter zu seinem Gesicht zu wandern.
    »Wir wissen beide, dass du dich in
einem fortgeschrittenen Zustand alkoholischer Abhängigkeit befindest«, sagte
Colin, diesmal in seiner sachlichsten Stimme. »Ich versuche dir seit einiger
Zeit klarzumachen, wie das enden wird, aber du hast nie ernsthaft versucht,
dich damit auseinanderzusetzen.«
    »Ich habe es doch versucht«, wehrte
ich mich. »Ich habe die Zwölf Schritte befolgt, als du mich in die
Hermitage-Klinik eingewiesen hast. Ich habe die Entgiftungskur gemacht, ich
habe den
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