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Bony und die weiße Wilde

Bony und die weiße Wilde

Titel: Bony und die weiße Wilde
Autoren: Arthur W. Upfield
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Hause gekommen sei und seine Mutter Luke gerufen hätte, damit er Marvin veranlassen sollte, aus dieser Gegend zu verschwinden. Es war an dem Morgen, an dem wir den Königsfisch fingen und ich um Haaresbreite von der Flutwelle weggerissen worden wäre. Ich werde das Gefühl nicht los, Sadie, daß Sie mich absichtlich ertrinken lassen wollten. Warum?«
    Das Mädchen riß in ehrlichem Erstaunen die Augen auf. Röte überzog ihr Gesicht. »Oh, Nat, trauen Sie mir wirklich so etwas zu? Ich war ins Träumen geraten, und hinterher habe ich mir die heftigsten Vorwürfe gemacht. Es geschah nicht absichtlich, das müssen Sie mir glauben. Begreifen Sie doch - ich mußte ständig an Marvin denken. Ich konnte den Gedanken an ihn nicht loswerden.«
    »Ich bin sehr glücklich, Sadie, daß es sich so verhalten hat. Es fiel mir schwer, etwas Schlechtes von Ihnen denken zu müssen, und Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen unrecht tat. Wußten Sie an dem Tag bereits, daß Marvin tot war?«
    Die Lampe, die schräg hinter dem Mädchen hing, warf ihr volles Licht auf Bony. Statt zu antworten, betrachtete Sadie das Gesicht des Inspektors, wie sie eine seltene Muschel betrachtet haben würde, die sie ihrer Sammlung einzuverleiben gedachte. Sie studierte ihn sorgfältig: das glatte schwarze Haar, das an den Schläfen zu ergrauen begann, die gerade, schmale Nase, das energische Kinn. Sie konnte in seinen Augen nichts als Wohlwollen lesen und gleichzeitig eine inständige Bitte.
    »Ja«, hauchte sie. »Ja, an diesem Tag wußte ich bereits, daß er tot war. Darum vergaß ich Sie und die Flutwelle.«
    »Wer hat ihn erschossen? Luke?«
    »Nein, ich.«
    Dieses Geständnis kam mit einer solchen Offenheit und ohne jede Spur einer inneren Erregung, daß Bony völlig überrumpelt war. Um seine Fassung wiederzuerlangen, drehte er sich zunächst umständlich eine Zigarette. Dann ging er schweigend zum Höhleneingang und rauchte dort, ohne zu bemerken, daß sich der Himmel grau zu färben begann. Als er zurückkehrte, saß Sadie immer noch so unbeweglich, wie er sie verlassen hatte. Er nahm wieder ihr gegenüber auf dem Wasserkanister Platz.
    »Das ist eine sehr üble Geschichte«, sagte er endlich. »Ich nehme an, Sie sind sich dessen bewußt?«
    Sie nickte.
    »Haben Sie ihn begraben?«
    Sie hielt den Atem an. Dann stieß sie einen langen Seufzer aus, hob den Kopf und blickte den Inspektor fest an. Auf ihrem Gesicht erschien das für sie typische geheimnisvolle, allwissende Lächeln. Bony empfand dieses Lächeln jetzt fehl am Platz, ein Gefühl der Entrüstung stieg beinahe in ihm auf, bis er in ihre Augen sah. Da erkannte er schlagartig, daß sie eine Maske trug, schon immer eine Maske getragen hatte, hinter der sich Einsamkeit, Verlassenheit und Angst verbargen.
    »Antworten Sie mir jetzt nicht auf diese Frage«, fuhr er hastig fort. »Ich möchte zuvor noch etwas sagen. Ich bin zwar Kriminalinspektor, aber ich denke und fühle wie jeder andere Mensch. Ich erzählte Ihnen bereits, daß ich eine Frau und drei Söhne habe. Während meiner Laufbahn als Polizeibeamter habe ich schon viele Verbrecher festnehmen müssen, und ich bin hier in diese Gegend gekommen, um Marvin Rhudder zu verhaften. Man hat mir schon mehr als einmal gesagt, ich sei ein sentimentaler Narr, weil ich oft Mitleid empfand mit dem Mann oder der Frau, die ich verhaften mußte. Jetzt bin ich also in die Situation geraten, Sie festnehmen zu müssen, und zwar wegen der Ermordung von Marvin Rhudder. Ich muß Sie darum darauf aufmerksam machen, daß alles, was Sie von nun an sagen, festgehalten und im Prozeß eventuell gegen Sie verwendet wird. Ich möchte weder das eine noch das andere, aber wir unterstehen beide den Gesetzen. Und nun möchte ich Sie nochmals fragen - haben Sie ihn begraben?«
    »Ja. Oh, Nat!« Sie bemühte sich verzweifelt, Haltung zu bewahren. »Ja, ich habe ihn begraben. Dort drüben habe ich ihm ein Grab geschaufelt. Ich wusch ihm das Blut ab und bedeckte seine Augen mit kleinen Muscheln, und eine große Muschel legte ich ihm über das Gesicht. Ich begrub diese Baskenmütze, denn sie gehörte ihm, und nun bin ich zurückgekommen, um das Album zu begraben, denn es gehörte ebenfalls ihm. Andere Sachen von ihm befinden sich in einem Koffer, den ich in einem hohlen Baum versteckte, den ich später anzünden wollte.«
    »Und warum versteckten Sie den Koffer in dem hohlen Baum?«
    »Marvin lebte eine Zeitlang in der Blockhütte, die Ihnen ja bekannt ist.
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