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Bony und die weiße Wilde

Bony und die weiße Wilde

Titel: Bony und die weiße Wilde
Autoren: Arthur W. Upfield
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breiten Mund. Sie betrachtete sich noch einmal in ihrem Handspiegel, wobei sie eine tänzelnde Drehung vollführte, so, wie sie es früher im Beisein von Rose Jukes und den Rhudder-Jungen wohl oft getan haben mochte. Aber plötzlich verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht und machte einem tiefen Ernst Platz.
    Sie nahm aus ihrer Umhängetasche zwei kurze rote Kerzen, entfernte die weißen Stummel aus den Leuchtern, setzte die roten Kerzen auf und entzündete sie. Die herausgenommenen Kerzenstummel warf sie achtlos in die Truhe, dann wandte sie sich um und musterte den Altar.
    Bony hätte sich gewiß nicht gewundert, wenn diese Szene von einer Geisteskranken aufgeführt worden wäre, aber Sadie hatte bisher kein Anzeichen für eine Gemütskrankheit verraten. Sie hatte sich stets fleißig, ausgeglichen und selbstbewußt gezeigt.
    Jetzt nahm sie das schwarzeingebundene Buch in die Hand und trat vor den altarähnlichen Steinblock, machte einen leichten Knicks, wobei sie mit der freien Hand den Rock ein wenig zur Seite schwang. Die Karbidlampe warf Schatten gegen die graue Felswand, und in diesem Augenblick wurde Sadie für Bony zu einer Fremden. Eben noch hatte er sie mit hochgestecktem Haar und in Männerkleidung gesehen, und jetzt stand sie da, mit lose herabfallendem Haar, den Körper frei und gelöst, mit jeder Bewegung himmelstürmende Jugend verratend: eine weiße Wilde.
    Sie kniete vor dem Altar nieder, das geöffnete Buch in beiden Händen haltend. Ihr Gesicht war in die Höhe gerichtet. Dann begann sie zu rezitieren, ohne dabei in das Buch zu blicken.
    Bony vernahm zwar das Murmeln ihrer Stimme, konnte aber keine Worte unterscheiden. Schließlich legte sie das Buch zur Seite, verharrte aber auch weiterhin in ihrer knienden Stellung. Nur das Gesicht hatte sie tief gesenkt - zum Meditieren oder zum Beten.
    Bony verspürte einen kalten Luftzug am Kopf. Der Wind hatte vermutlich nach Süden gedreht und wehte jetzt kalt zur Höhle herein. In diesem Augenblick fiel Sadie nach vorn in den Sand, die Arme weit ausgestreckt. Er sah, wie sich ihre Finger öffneten und schlossen, und plötzlich warf sie sich, wie von einem namenlosen Schmerz erfüllt, Sand über Kopf und Kleid.
    Lew packte Bonys Arm. Der Inspektor sah, daß der Neger am liebsten zu dem Mädchen gerannt wäre, um es zu beruhigen. Energisch drückte er Lews Arm zurück und schüttelte abwehrend den Kopf.
    Lange Minuten vergingen, bis Sadie erschöpft innehielt. Sie lag noch eine Weile reglos da, dann erhob sie sich und nahm die Baskenmütze von dem Altar. Sie kniete erneut nieder und schaufelte mit den Händen eine Vertiefung in den Sand. Ein wenig widerstrebend legte sie schließlich die Baskenmütze hinein, dann schob sie Sand darüber und glättete die Stelle.
    Noch einmal verharrte sie wie in tiefer Erinnerung versunken, dann trat sie rasch an den Felsblock, blies die Kerzen aus und ging zur Truhe zurück.
    Sand fiel aus ihrem Haar, ihr Make-up war verschmiert, ihr Gesicht glich einer Fratze. Sie keuchte mit geöffnetem Mund, aus ihren Augen rollten dicke Tränen und gruben tiefe Rinnen in ihr sandverschmiertes Gesicht.
    Sie riß sich das Kleid förmlich vom Leibe und warf es in die Truhe. Die roten Sandaletten und die Strümpfe folgten. Sie frisierte ihr Haar in der üblichen Weise, zog die Männerkleidung an und steckte das Necessaire in die Umhängetasche. Dann schlüpfte sie in den Ölmantel, stülpte den Südwester über den Kopf und ließ den Deckel der Truhe mit einem lauten Knall zufallen. Tiefe Dunkelheit herrschte in der Höhle, nachdem sie die Karbidlampe gelöscht hatte und im tanzenden Lichtschein ihrer Taschenlampe hinaus in die stürmische Nacht gegangen war.
    Bony zählte langsam bis zwanzig, dann knipste er seine Taschenlampe an und lief zum Höhlenausgang. Der Sturm heulte von der See her und wurde an der Steilwand des Kliffs nach oben gerissen. Unten tobte die Brandung gegen die Felsen an. Sadies Taschenlampe flackerte den Pfad entlang, wurde hin und wieder verdeckt von ihrem wehenden Mantel. Bony blickte ihr nach, bis sie auf dem Plateau angelangt war. Er spürte, daß Lew neben ihn getreten war.
    »So, und jetzt wird Tee gekocht«, sagte er zu dem Neger. »Und dann gibt es noch Arbeit für uns. Machen Sie den Primuskocher an. Ich fülle inzwischen den Wasserkessel.«
    Sie zündeten die Karbidlampe wieder an. Während Lew sich weidliche Mühe gab, den Kocher in Betrieb zu bringen, hatte Bony keine Schwierigkeiten, den Kessel mit
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