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Bony und die weiße Wilde

Bony und die weiße Wilde

Titel: Bony und die weiße Wilde
Autoren: Arthur W. Upfield
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eine war ein Porträt von Marvin, das zu jener Zeit aufgenommen sein mußte, als er sein Elternhaus für immer verließ. Ein jugendliches Gesicht, der Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen und mit zu dicht beieinanderstehenden Augen, die nicht mit dem Mund harmonierten. Auf der anderen Seite der Lederhülle steckte ein Bild von Sadie Stark. Sie trug ein weißes, gepunktetes Kleid und blickte mit großen Augen in die Kamera. Auf ihrem Gesicht stand das geheimnisvolle, allwissende Lächeln der Mona Lisa, das Bony so gut kannte.
    Schließlich fand er das in der Truhe, was er ursprünglich erwartet hatte: Angelgerät, ein Kleinkalibergewehr, eine Mundharmonika, zerlesene Taschenbücher und Muscheln und Gesteinsproben.
    Er legte alles wieder in der ursprünglichen Anordnung in die Truhe zurück, wobei er sich besonders mit dem Kleid viel Mühe gab. Anschließend ging er zum Höhleneingang, rauchte eine Zigarette und dachte darüber nach, welche Bewandtnis es mit diesem Kleid haben mochte. Ein ähnliches hatte Sadie vor vierzehn Jahren bei diesem Kricketmatch getragen. Hatte sie es sich jetzt gekauft, um mit Boroniaduft und der von Kerzenleuchtern eingerahmten Baskenmütze einen Kult mit einem Menschen zu treiben, der erneut aus ihrem Leben verschwunden war?
    Dann müßte Sadie geistig anomal sein, und das konnte Bony nicht glauben, obwohl er schon die seltsamsten Verirrungen menschlichen Geistes erlebt hatte.
    Er wußte nicht genau, wie spät es war. Als Matt Jukes um Viertel nach elf sein Barometer betrachtete, glaubte er beinahe, es sei an Altersschwäche eingegangen, und hätte Bony nicht so sehr über das Kleid nachgegrübelt, sondern seine Aufmerksamkeit mehr der See zugewandt, dann wäre ihm aufgefallen, daß das Meer in Richtung auf die Lagune mehrere Meter vom Strand entfernt flach und wie bräunliches Kupfer dalag. Er hätte dieses Phänomen wohl kaum auf das Zusammenschrumpfen des Seetangberges bei Teds Felsen zurückgeführt.
    Immerhin bemerkte er, daß es zu regnen begann.
    Er trat in die Höhle zurück und blieb vor der Sturmlaterne und der Streichholzdose stehen. Die Lampe war gepflegt, das Glas poliert. Was sollte sie hier? Jeder, der sich in dieser Höhle auskannte, würde mühelos auch im Finstern die Karbidlampe finden. Irgendwie gab das alles keinen Sinn.
    Bony fiel ein, daß Lew sich bei dem Regen oben auf dem Kliff höchst ungemütlich fühlen würde. Er blickte hinaus und starrte gebannt auf Australiens Fronttür, die von den beiden Seiten des Höhleneingangs malerisch eingerahmt wurde.
    Schließlich holte er sich noch einmal das Album mit den Zeitungsausschnitten aus der Truhe. Er klappte den Truhendeckel wieder zu, setzte sich darauf und legte das Album auf die Knie. Es war auffallend dick, und als er es aufblätterte, sah er als erstes wiederum ein Porträtbild von Marvin Rhudder. Darunter war in einer kleinen, sehr schönen Handschrift geschrieben:
    Er trug eine schimmernde Rüstung. Doch Verderbtheit befleckte sie.
    Auf der nächsten Seite stand in derselben Handschrift:
    Am Montag, dem 15 Februar 1947, verläßt uns Marvin, um zum letztenmal in das College zurückzukehren.
    Die Welt wartete auf seine Eroberung. Und die Frauen eroberten ihn.
    Die folgenden Seiten waren mit Zeitungsausschnitten gefüllt, alle mit Schlagzeilen überschrieben. Als Bony Seite um Seite umblätterte, entstand vor ihm das Bild eines Ungeheuers.
    Angewidert von dieser Karriere eines Triebverbrechers schloß Bony endlich das Album. Aber dann schlug er die letzte beschriebene Seite noch einmal auf und las den Eintrag:
    Der Ritter in schimmernder Rüstung ist von uns geschieden ...
    Sadie hatte also die Wahrheit gesprochen. Marvin Rhudder befand sich nicht mehr hier. Irgendwo gab es jetzt bestimmt irgendeine Frau, die nicht wußte, daß sich ihr ein reißender Tiger in Menschengestalt nähern würde.
    Damit war sein - Inspektor Bonapartes - Auftrag erledigt. Damit war ihm zum erstenmal in seiner Laufbahn ein Erfolg versagt geblieben, wenn er nicht - und dessen war er beinahe sicher - schon bald woanders die Jagd nach Marvin Rhudder aufs neue beginnen würde.
    Er legte das Album in die Truhe zurück. Bevor er die Karbidlampe auslöschte und die Höhle verließ, um hinaufzugehen und seinen Mißerfolg einzugestehen, blickte er sich noch einmal um. Er betrachtete den steinernen Altar mit den beiden Leuchtern, die Baskenmütze. Ein sorgsam gepflegter Altar. Selbst der Sand rings um ihn war glatt und unberührt.
    Er
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