Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
Vom Netzwerk:
den
Plan faßte, Anne wieder aus unserem Leben zu verstoßen. Ich wußte, daß er sich
trösten würde, wie er sich über alles tröstete. Ein Bruch würde ihm weniger
schwerfallen als ein geregeltes Leben; wirklich treffen, wirklich zerrütten
konnten ihn nur die Gewohnheit und das ewige Einerlei — genau wie mich. Wir
gehörten zur gleichen Rasse, er und ich: zu der schönen, reinen Rasse der
Nomaden. — Aber ich dachte nicht immer so, manchmal nannte ich sie auch: die
arme, abgestumpfte Rasse der Genußmenschen.
    Damals hat er gelitten, zumindest war
er sehr erbittert: Elsa war für ihn zum Symbol der Vergangenheit, zum Symbol
der Jugend, besonders seiner eigenen Jugend geworden. Ich spürte, wie
leidenschaftlich gern er zu Anne gesagt hätte: »Liebste, entschuldige mich für
einen Tag; ich muß zu diesem Mädchen gehen, um mir zu beweisen, daß ich noch
kein Greis bin. Ich muß mich immer wieder vergewissern, daß ich ihres Körpers
überdrüssig bin, um ruhig zu sein.« Aber er konnte ihr das nicht sagen; nicht
weil Anne eifersüchtig oder zu tugendhaft oder auf diesem Gebiet unzugänglich
gewesen wäre, sondern weil sie offenbar nur unter den folgenden Bedingungen
eingewilligt hatte, mit ihm zu leben: daß er seinen leichtsinnigen Lebenswandel
aufgäbe, daß er aus einem Gymnasiasten zum Manne würde, dem sie ihr Leben
anvertraute, und daß er sich infolgedessen gut benehmen müsse und nicht ein
Sklave seiner Leidenschaften sein dürfe. Man konnte das Anne nicht vorwerfen;
ihre Erwartungen waren völlig normal und gesund, aber das änderte nichts daran,
daß mein Vater Elsa begehrte, daß er sie allmählich mehr begehrte als irgend
etwas anderes, mit jener doppelten Leidenschaft, mit der man begehrt, was
verboten ist.
    Und zweifellos hätte ich zu jenem
Zeitpunkt noch alles in Ordnung bringen können. Es hätte genügt, Elsa
aufzufordern, ihm nachzugeben, und Anne unter irgendeinem Vorwand für einen
Nachmittag mit nach Nizza oder sonstwohin zu nehmen. Bei unserer Heimkunft hätten
wir meinen Vater entspannt und voll neuer Zärtlichkeit für die andere Liebe
vorgefunden, die legal war oder es zumindest nach unserer Rückkehr sein würde.
Natürlich, das war noch etwas, was Anne nie ertragen hätte: eine Geliebte
gewesen zu sein wie die anderen — vorübergehend! Ihre Würde und Selbstachtung
machten uns das Leben wirklich schwer.
    Aber weder forderte ich Elsa auf,
meinem Vater nachzugeben, noch bat ich Anne, mich nach Nizza zu begleiten. Ich
wollte, daß die Begierde sich im Herzen meines Vaters ausbreitete und ihn einen
Fehler begehen ließ. Ich konnte die Verachtung, mit der Anne unser früheres
Leben abtat, nicht ertragen; es demütigte mich, daß sie verhöhnte, was für
meinen Vater und mich das Glück gewesen war. Ich wollte sie auch nicht demütigen,
ich wollte nur, daß sie unsere Einstellung zum Leben akzeptiere. Sie sollte
wissen, daß mein Vater sie betrogen hatte, und sie sollte diese Untreue nach
ihrem objektiven Wert beurteilen: als eine flüchtige, rein körperliche
Liebschaft und nicht als einen Angriff auf ihren persönlichen Wert und ihre
Würde. Wenn sie unter allen Umständen recht haben wollte, dann mußte sie uns
die Freiheit lassen, unrecht zu handeln.
    Ich gab mir sogar den Anschein, als ob
ich keine Ahnung von den Qualen meines Vaters hätte. Er durfte sich mir auf
keinen Fall anvertrauen, er durfte mich nicht zwingen, seine Komplicin zu
werden, mit Elsa zu reden und Anne fortzulocken.
    Ich mußte so tun, als ob ich seine
Liebe zu Anne für etwas Heiliges hielte und sie selber für eine Heilige. Und
ich muß sagen, daß mir das keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Die
Vorstellung, daß er Anne betrügen, daß er sie beleidigen könnte, erfüllte mich
mit Schrecken und dumpfer Bewunderung.
    Ich wartete ab, und inzwischen
verlebten wir glückliche Tage. Ich sorgte dafür, daß sich immer mehr
Gelegenheiten ergaben, meinen Vater durch Elsas Anblick zu erregen. Annes
Gesicht erweckte keine Gewissenbisse mehr in mir. Manchmal bildete ich mir ein,
daß sie sich mit allem abfinden würde und daß wir mit ihr ein Leben führen
könnten, das sowohl ihrem als auch unserem Geschmack entsprach Andererseits war
ich oft mit Cyril beisammen, und wir liebten uns im Verborgenen. Der Geruch der
Fichten, das Geräusch des Meeres, die Berührung unserer Körper... Er begann
sich mit Vorwürfen zu quälen. Die Rolle, die ich ihm aufgezwungen hatte, war
ihm verhaßt, und er spielte sie nur, weil ich ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher