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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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du noch er.«
    Der Motor sprang an.
    Ich war verzweifelt. So durfte sie uns
nicht verlassen.
    »Verzeihen Sie mir, Anne, ich flehe Sie
an...«
    »Dir, was soll ich dir verzeihen?«
    Die Tränen rannen unentwegt über ihr
Gesicht. Sie schien es nicht zu bemerken, sie weinte lautlos, regungslos.
    »Mein armes kleines Mädchen!...«
    Einen Moment legte sie ihre Hand an
meine Wange, dann fuhr sie weg. Ich sah, wie das Auto hinter der Hausecke
verschwand. Ich war verloren, verstört... Es war alles so schnell gegangen! Und
der Ausdruck in ihrem Gesicht — dieses Gesicht...
    Ich hörte Schritte hinter mir: Es war
mein Vater. Er hatte sich Zeit genommen, um die Spuren von Elsas Lippenstift zu
entfernen und die Fichtennadeln von seinem Anzug zu bürsten. Ich drehte mich um
und warf mich gegen ihn.
    »Du Schurke, du Schurke!«
    Dann begann ich zu schluchzen.
    »Aber was ist denn los? Ist Anne...?
Cecile, sag mir, Cecile...«

ELFTES KAPITEL
     
    W ir sahen einander erst wieder beim
Abendessen. Wir hatten beide Angst vor diesem so plötzlich wiedergewonnenen
Alleinsein. Ich konnte keinen Bissen essen, er auch nicht. Wir wußten beide,
daß Anne unbedingt wieder zu uns zurückkehren mußte. Ich würde es nicht lange
ertragen können: die Erinnerung an ihr verstörtes Gesicht, als sie wegfuhr, den
Gedanken an ihren Schmerz und an meine Verantwortung. Meine geduldigen Manöver
und meine sorgfältig ausgeheckten Pläne hatte ich vergessen. Ich war völlig aus
der Bahn geworfen, ohne jeden Halt, und ich sah die gleichen Empfindungen auf
dem Gesicht meines Vaters.
    »Glaubst du«, sagte er, »daß sie uns
für lange Zeit verlassen hat?«
    »Sie ist sicher nach Paris gefahren«,
sagte ich,
    »Paris...«, murmelte mein Vater
verträumt.
    »Vielleicht sehen wir sie nie mehr
wieder...«
    Er blickte mich ratlos an und griff
über den Tisch nach meiner Hand.
    »Du mußt furchtbar böse auf mich sein.
Ich weiß nicht, was mich gepackt hat. Als ich mit Elsa durch den Wald
zurückging, hat sie... Nun, ich habe sie geküßt, und Anne muß gerade in diesem
Moment auf uns zugekommen sein und...«
    Ich hörte ihm nicht zu. Die beiden
Gestalten von Elsa und meinem Vater, die sich im Schatten der Fichten umarmten,
erschienen mir wie Figuren aus einer Posse, unwirklich und ohne Bedeutung, ich
sah sie nicht. Das einzig Lebendige und grausam Lebendige an diesem Tag war
Annes Gesicht, dieses letzte, vom Schmerz gezeichnete, dieses verratene
Gesicht. Ich nahm eine Zigarette aus dem Paket meines Vaters und zündete sie
an. Auch etwas, was Anne nicht zuließ: daß man mitten während der Mahlzeit
rauchte. Ich lächelte meinem Vater zu:
    »Ich verstehe sehr gut. Es ist nicht
dein Fehler... Ein. Moment der Tollheit, wie man sagt. Aber Anne muß uns
verzeihen, das heißt: dir verzeihen.«
    »Was sollen wir tun?« sagte er.
    Er sah sehr schlecht aus, ich hatte
Mitleid mit ihm, und ich hatte Mitleid mit mir. Warum verließ uns Anne auf
diese Weise, warum ließ sie uns so leiden, wegen eines einzigen, dummen
Streiches? Hatte sie uns gegenüber keine Pflichten?
    »Wir werden ihr schreiben«, sagte ich,
»und sie um Verzeihung bitten.«
    »Das ist eine geniale Idee«, rief mein
Vater.
    Endlich hatte er ein Mittel gefunden,
diesen Zustand von Untätigkeit zu beenden, in dem wir uns seit drei Stunden das
Gewissen zermarterten.
    Ohne fertigzuessen, schoben wir das
Tischtuch und die Teller zurück; mein Vater holte eine große Lampe, den
Federhalter, ein Tintenfaß, sein Briefpapier, und wir setzten uns einander
gegenüber an den Tisch, beinahe lächelnd, so wahrscheinlich erschien uns
plötzlich Annes Rückkehr dank dieser Inszenierung. Vor dem Fenster beschrieb
eine Fledermaus ihre seidigen Kurven. Mein Vater neigte den Kopf und begann zu
schreiben.
    Ich kann nicht ohne ein unerträgliches
Gefühl grausamen Hohnes an die Briefe denken, die wir an jenem Abend
geschrieben haben und die so übervoll von guten Gefühlen waren. ‘Wir saßen
beide unter der Lampe wie zwei Schüler, emsig und ungeschickt, und arbeiteten
schweigend an der unmöglichen Aufgabe: Anne zu versöhnen. Und wir brachten
wirklich zwei Meisterwerke in ihrer Art zustande, voll von guten
Entschuldigungsgründen, von Zärtlichkeit und von Reue. Als ich fertig war, war
ich beinahe überzeugt, daß Anne ihnen nicht widerstehen könnte und daß die
Versöhnung unmittelbar bevorstünde. Ich sah schon die Szene der Vergebung vor
mir, unsere Scham und unseren Humor... Der Ort der Handlung würde unser
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