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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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fünfundzwanzig Jahren würde mein Vater ein
liebenswerter Sechziger sein, mit weißen Haaren und einer Vorliebe für Whisky
und Erinnerungen aus seiner bunten Vergangenheit. Wir würden zusammen ausgehen,
und zum Unterschied würde nun ich meine Abenteuer erzählen, und er würde mir
Ratschläge geben. Ich merkte, daß ich Anne aus diesem Zukunftsbild
ausgeschlossen hatte; ich konnte es nicht, es gelang mir nicht, sie
einzubeziehen. In dem wilden Durcheinander unserer Wohnung, die einmal verödet,
einmal überschwemmt mit Blumen war, die von Szenen und fremden Akzenten
widerhallte und regelmäßig von Gepäckstücken überquoll, konnte ich mir die
Ordnung, die Stille und die Harmonie nicht vorstellen, die Anne überall wie das
wertvollste aller Güter mit sich trug. Ich hatte große Angst, mich tödlich zu
langweilen, obgleich ich, seitdem ich Cyril wirklich und physisch liebte, ihren
Einfluß sehr viel weniger fürchtete. Die Liebe hatte mich von vielen Ängsten
befreit. Aber es gab nichts, das ich so scheute wie Ruhe und Langeweile. Um uns
unsere innere Ruhe zu erhalten, brauchten mein Vater und ich ein unruhiges und
bewegtes Leben. Und das würde Anne nicht zulassen.

NEUNTES KAPITEL
     
    I ch spreche viel von Anne und von mir
selber und wenig von meinem Vater; aber nicht, weil seine Rolle in diesem Drama
nicht die wichtigste gewesen wäre oder weil er mir nicht am Herzen lag. Ich
habe nie jemanden so geliebt wie ihn, und von allen Gefühlen, die mich damals
beherrschten, waren meine Gefühle für ihn die dauerhaftesten, die tiefsten, die
für mich wichtigsten. Ich kenne ihn zu gut, um gern über ihn zu reden; er steht
mir zu nahe. Und dabei müßte ich versuchen, gerade ihn verständlich zu machen,
mehr als die anderen, damit man sein Verhalten begreifen kann. Er war weder ein
eitler noch ein egoistischer Mensch. Aber er war leichtsinnig, unverbesserlich
leichtsinnig. Ich kann ihn nicht einmal als einen Menschen bezeichnen, der
keiner tieferen Empfindungen fähig war und kein Gefühl für Verantwortung hatte.
Seine Liebe zu mir war ein ernst zu nehmendes Gefühl und nicht einfach eine
väterliche Gewohnheit. Er konnte durch mich mehr leiden als durch irgend jemand
anderen; und ich — wie grenzenlos verzweifelt war ich einmal, einzig und allein
wegen dieser Geste, mit der er mich im Stich ließ, und seinem Blick, der sich
von mir abwandte... Er hatte mich niemals wegen einer seiner Liebschaften
vernachlässigt, ich kam für ihn immer zuerst. Um mich nach Hause zu begleiten,
hatte er sich manchmal das, was Webb »sehr schöne Gelegenheiten« nannte,
entgehen lassen. Aber ich kann nicht leugnen, daß er sich —mit dieser einen
Einschränkung — seinem Vergnügen hingab, daß er unbeständig war und
leichtfertig. Er dachte nicht nach. Er versuchte für alle Dinge eine
physiologische Erklärung zu finden, die er dann als vernünftig bezeichnete: »Du
fühlst dich elend? Schlafe mehr, trinke weniger.« Wenn er hie und da ein
heftiges Verlangen nach einer Frau empfand, machte er es genauso; er dachte
weder daran, es zu unterdrücken, noch redete er sich in ein verwickeltes Gefühl
hinein. Er war ein Materialist, aber er war zartfühlend, verständnisvoll und im
Grunde sehr gut.
    Sein Verlangen nach Elsa verdroß ihn,
aber nicht so, wie man glauben würde. Er sagte sich nicht: ›Ich werde Anne
betrügen, also liebe ich sie nicht mehr so wie frühen, sondern: ›Es ist sehr
ärgerlich, daß ich Elsa begehre! Dem muß schnell abgeholfen werden, sonst werde
ich Schwierigkeiten mit Anne haben.‹ Mehr noch: Er liebte Anne, er bewunderte
sie, sie war anders als die frivolen und ein wenig törichten Frauen, mit denen
er sich in den letzten Jahren eingelassen hatte. Sie befriedigte zugleich seine
Eitelkeit, seine Sinnlichkeit und sein Gefühlsleben, denn sie verstand ihn, sie
bot ihm ihre Intelligenz und ihre Erfahrung, an denen er seine eigenen messen
konnte. Allerdings, ob er auch erkannt hatte, wie ernst und stark ihre Gefühle
für ihn waren, dessen bin ich nicht so sicher! Sie erschien ihm als die ideale
Geliebte und als eine ideale Mutter für mich. Ob er auch dachte: ›die ideale
Ehefrau‹ — mit allen Verpflichtungen, die das mit sich brachte? Ich glaube
nicht. Ich bin überzeugt, daß Cyril und Anne ihn für gefühlsmäßig anormal
hielten, so wie mich. Aber daß er das Leben banal fand, hinderte ihn nicht
daran, es leidenschaftlich zu genießen und mit aller Kraft zu erleben.
    Ich dachte nicht an ihn, als ich
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