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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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die Augen.
    Ich fand meine Frage nur logisch.
    »Du bist natürlich noch Jungfrau«, sagte sie dann, wahrscheinlich, um sich zu rächen.
    »Wie kommst du da drauf?«
    Blöde Frage. Christa gluckste. Wieder hatte ich eine grandiose Gelegenheit vertan, einfach den Mund zu halten.
    »Liebt er dich?« fragte ich.
    »Ja, viel zu sehr.«
    »Wieso viel zu sehr?«
    »Du hast ja keine Ahnung, wie das ist, wenn dein Typ dich anschaut, als wärst du eine Göttin.«
    Am Anfang stand die Verachtung: Du hast ja keine Ahnung … Der Rest des Satzes erschien mir einfach grotesk: Arme Christa, so grausam verfolgt vom Schicksal, daß David Bowie sie mit den Augen verschlang. Was für ein absurdes Theater!
    Ich beschloß, sie beim Wort zu nehmen.
    »Dann sag ihm, er soll dich weniger lieben«, schlug ich vor.
    »Glaubst du, ich habe auf deine Ratschläge gewartet? Er kann einfach nichts dagegen tun.«
    Ich tat so, als wäre mir eben eine zündende Idee gekommen: »Schneuz dich und zeig ihm dann dein Taschentuch. Da vergeht’s ihm bestimmt.«
    »Mein liebes Kind, du hast ein echtes Problem«, sagte sie und klang dabei ziemlich erschüttert.
    Dann löschte sie das Licht, das hieß: Ich will jetzt schlafen.
    In meinem Kopf ging das Getuschel wieder los: Auch wenn du sie total bescheuert findest – du würdest nur zu gern mit ihr tauschen. Sie wird geliebt, sie kennt sich aus, und du bist ein dummes Huhn, das so etwas nie erleben wird.
    Und dann: Hier ging es um die Liebe zwischen Mann und Frau. Es war ja nicht undenkbar, daß ich sie mit sechzehn schon erfahren hätte. Aber ach, so viel verlangte ich gar nicht. Ich wäre mit jeder Art von Liebe zufrieden gewesen! Meine Eltern hatten immer nur Zuneigung für mich empfunden. Und ich erfuhr gerade, daß selbst diese auf tönernen Füßen stand. Es mußte bloß ein charmantes junges Mädchen aufkreuzen, und schon war ich aus ihrem Herzen verdrängt – zu den Altlasten.
    Den Rest der Nacht stöberte ich in meinen Erinnerungen: War ich jemals von jemandem geliebt worden? Hatte es in meinem ganzen Leben je ein Kind oder einen Erwachsenen gegeben, von dem ich mich auserwählt gefühlt hätte? So sehr ich es mir auch gewünscht hatte, nie war mir die überschwengliche Liebe zehnjähriger Mädchen zuteil geworden, nie die leidenschaftliche Aufmerksamkeit eines Lehrers. Nie hatte ich in den Augen eines anderen den Funken gesehen, der das Leben erst lebenswert macht.
    Da konnte ich noch so sehr über Christa spotten: Sie war vielleicht eine Angeberin, dumm und eitel, aber sie wurde geliebt. Ein Vers fiel mir ein: Selig sind, die Liebe erwecken.
    Ja, selig, denn auch wenn sie alle Fehler hatten, waren sie doch das Salz der Erde, nur ich war auf dieser Welt zu nichts zu gebrauchen, weil ich niemandem auffiel.
    Warum war das so? Es wäre nur gerecht gewesen, wenn ich selbst nie geliebt hätte. Aber das Gegenteil war der Fall: Ich war stets zu lieben bereit. Seit meiner frühesten Kindheit wollte ich unzähligen Mädchen mein Herz schenken, aber keine wollte es haben; in der Pubertät schwärmte ich für einen Jungen, für den ich einfach Luft war. Da ging es um die große Liebe; aber mit der gleichen Beharrlichkeit wurden mir schlichte Zärtlichkeiten vorenthalten.
    Christa hatte ganz recht: Ich hatte ein Problem. Aber welches? So schrecklich sah ich auch wieder nicht aus. Außerdem gab es genug häßliche Mädchen, die dennoch geliebt wurden.
    Mir fiel eine Episode aus meiner Jugend ein, die vielleicht den Schlüssel dazu enthielt. Ich mußte nicht weit zurückgehen, es war im vorigen Jahr passiert. Ich war fünfzehn und litt darunter, daß ich keine Freundin hatte. In meiner Abschlußklasse gab es drei Mädchen: Valérie, Chantal und Patricia. Sie hatten nichts Besonderes an sich, außer daß sie unzertrennlich waren und ständig zusammensteckten. Dabei empfanden sie offenbar ein großes Glück.
    Mein Traum war es, die vierte im Bunde zu sein. Ich ging einfach immer mit ihnen mit; drei Monate lang sah man das Trio nie ohne mich. Natürlich merkte ich, daß sie mir keine Antwort gaben, wenn ich sie etwas fragte. Aber ich übte mich in Geduld und begnügte mich mit dem, was ich hatte: Ich hatte immerhin das Recht, dabeizusein. Das schien mir schon viel.
    Sechs Monate später sagte Chantal nach einem Lachanfall den schrecklichen Satz: »Wir sind schon eine verdammte Dreierbande.«
    Es folgte ein erneuter Heiterkeitsausbruch bei allen dreien.
    Aber ich war doch auch noch da, ich war bei ihnen, wie
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