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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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Anwesenden ab, die »du« und »wir« hießen.
    »Ja, Christa, wir würden uns freuen, wenn du ihr ein bißchen was vom Leben zeigst«, pflichtete ihm meine Mutter bei.
    »Werd’s versuchen«, sagte Christa.
    Ich hatte verloren.
     
    Ein paar Tage später kam Christa mit gelangweilter Miene auf mich zu.
    »Ich hab deinen Eltern doch versprochen, dich meinen Freunden vorzustellen.«
    »Nett von dir, aber ich lege keinen Wert drauf.«
    »Komm jetzt, ich hab auch noch was anderes zu tun.«
    Sie zerrte mich am Arm hinter sich her und stieß mich dann in einen Haufen großgewachsener Prolls hinein.
    »Jungs, das ist Blanche.«
    Zu meiner großen Erleichterung nahm keiner von mir Notiz.
    Christa hatte ihre Pflicht erfüllt und mich ihren Freunden vorgestellt. Das war’s. Sie kehrte mir den Rücken und begann sich mit anderen zu unterhalten. Mutterseelenallein stand ich bei ihrer Clique; mein Unbehagen war mit Händen zu greifen.
    Von kaltem Schweiß bedeckt, schlich ich davon. Der Zwischenfall war so unbedeutend, daß ich ihn am besten gleich vergessen hätte; mir war vollkommen bewußt, daß das Ganze schwachsinnig war. Trotzdem gelang es mir nicht, aus diesem Alptraum aufzuwachen.
    Der Professor betrat den Hörsaal. Die Studenten gingen zu ihren Plätzen. Im Vorübergehen beugte sich Christa kurz zu mir hin und flüsterte mir ins Ohr: »Das schaut dir wieder ähnlich! Da gibt man sich tierisch Mühe mit dir, und du verdrückst dich und redest mit keinem.«
    Sie setzte sich zwei Reihen hinter mich und ließ mich versteinert, vernichtet sitzen.
     
    Ich konnte nicht mehr schlafen.
    Ich redete mir ein, daß Christa recht hatte – so war es weniger schmerzhaft. Ja, ich hätte mit jemandem sprechen sollen. Aber worüber? Ich hatte nichts zu sagen. Und mit wem? Diese Leute interessierten mich nicht.
    Siehst du, sagte eine innere Stimme, du kennst sie noch gar nicht, weißt aber schon genau, daß sie dir nichts zu bieten haben. Wie hochmütig und herablassend du bist! Christa ist da ganz anders, sie hat ein großes Herz. Sie geht auf Menschen zu, auf dich zum Beispiel und auf deine Eltern. Sie hat jedem etwas zu geben. Du hast für niemanden etwas übrig, nicht einmal für dich. Du bist nichts. Christa ist vielleicht ein bißchen ungehobelt, aber sie lebt wenigstens. Alles ist besser, als du zu sein.
    Sofort erhob sich Einspruch: Hör doch auf! Wie kann sie es wagen zu behaupten, daß sie sich tierisch Mühe gibt? Hat sie dich denn bekannt gemacht mit ihren Freunden? So etwas beruht doch auf Gegenseitigkeit! Hat sie dir einen einzigen Namen genannt? Du bist ihr doch völlig egal!
    Die Stimmen in meinem Kopf begannen sich gegenseitig zu überschreien: So was Eingebildetes! Ist sie vielleicht jemandem vorgestellt worden? Sie ist ganz allein von weither gekommen, aus ihrem kleinen Dorf im Osten, sie ist genauso alt wie du, sie hat keine Nachhilfe nötig. Und du benimmst dich wie ein Idiot.
    Und? Hab ich mich denn beklagt? protestierte die Gegenpartei. Ich bin gern allein. Ich ziehe meine Einsamkeit dem Aufeinanderhocken in der Clique vor. Das ist auch mein gutes Recht!
    Schallendes Gelächter auf der Gegenseite. Lügnerin! brüllte es, du weißt genau, daß du lügst! Immer hast du davon geträumt, dazuzugehören, um so mehr, als du es noch nie geschafft hast. Christa ist die Chance deines Lebens! Und du bist grade dabei, sie zu verpassen, armes Kind, du dumme … Es folgten Beschimpfungen übelster Art.
    So ging es meistens zu, wenn ich nicht schlafen konnte. Ich haßte mich bis zum Exzeß.
     
    Montagnacht, in meinem Zimmer, bat ich Christa: »Erzähl mir von Detlev!«
    Ich fürchtete eine Antwort von der Sorte, die sie so gut beherrschte, etwas wie: Das geht dich überhaupt nichts an!
    Doch es kam anders. Sie richtete ihren Blick an die Zimmerdecke und sagte, als wäre sie mit ihren Gedanken ganz weit weg: »Detlev … Er raucht. Er hat Klasse. Interessanter Typ. Groß, blond, ein bißchen wie David Bowie. Man sieht ihm an, daß er gelebt hat. Und gelitten. Wenn er reinkommt, hören die Leute auf zu reden und schauen ihn an. Er spricht nicht viel und lächelt nur selten. So einer, der seine Gefühle nicht zeigt.«
    Dieses Porträt eines rätselhaften, schönen Mannes reizte mich zum Lachen. Nur ein Detail faszinierte mich.
    »Sieht er wirklich aus wie David Bowie?« fragte ich.
    »Besonders beim Liebemachen.«
    »Du hast David Bowie schon beim Liebemachen zugeschaut?«
    »Bist du doof, Blanche«, seufzte sie und verdrehte
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