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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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immer. Ein Dolch bohrte sich in mein Herz. Und da erfaßte ich die ganze grauenvolle Wahrheit: Es gab mich nicht. Es hatte mich nie gegeben.
    Von da an wurde ich nicht mehr mit dem Trio gesehen. Den drei Mädchen fiel meine Abwesenheit genauso wenig auf wie meine frühere Anwesenheit. Ich war unsichtbar. Das war mein Problem.
    War es mangelnde Sichtbarkeit oder Nichtexistenz? Egal, es kam auf das gleiche heraus: Ich war Luft.
    Die Erinnerung quälte mich. Und ich stellte mit Schrecken fest, daß sich nichts geändert hatte.
    Oder doch: Es gab Christa. Christa hatte mich gesehen. Nein, das wäre zu schön gewesen. Christa hatte nicht mich gesehen – sie hatte mein Problem gesehen. Und zu ihrem Werkzeug gemacht.
    Sie hatte ein Mädchen gesehen, das furchtbar darunter litt, nicht zu existieren. Sie hatte begriffen, wie sie diesen sechzehn Jahre alten Schmerz für sich nutzen konnte.
    Schon hatte sie sich meiner Eltern und deren Wohnung bemächtigt. Und damit gab sie sich wohl kaum zufrieden. Wo es doch so gut lief.
     
    Am nächsten Montag fehlte Christa bei den Vorlesungen. Ich kam allein nach Hause.
    Meine Mutter wollte sofort wissen, warum Christa nicht mitgekommen war: »Ist sie krank?«
    »Keine Ahnung.«
    »Was heißt keine Ahnung?«
    »Daß ich es nicht weiß. Sie hat mir nichts gesagt.«
    »Und du hast nicht bei ihr angerufen?«
    »Ich habe ihre Nummer nicht.«
    »Hast du sie nie danach gefragt?«
    »Sie spricht nicht gern über ihr Zuhause.«
    »Was hat denn das damit zu tun?«
    Und wieder war es meine Schuld.
    »Sie hätte ja selber anrufen können«, sagte ich. »Sie hat doch unsere Nummer.«
    »Das wäre wohl für ihre Eltern zu teuer.«
    Nie gingen meiner Mutter die Argumente aus, um meine angebliche Freundin in Schutz zu nehmen.
    »Und du kennst nicht einmal ihre Adresse? Oder wenigstens den Namen ihres Dorfes? Du bist wirklich nicht sehr aufgeweckt!«
    Meine Mutter wollte nicht klein beigeben. Sie beschloß, bei der Auskunft anzurufen.
    »Ja, Bildung, in der Gegend von Malmédy … Haben Sie nicht? Gut. Danke.«
    Dann kam mein Vater nach Hause. Seine Frau erzählte ihm von ihren vergeblichen Nachforschungen und meiner mangelnden Aufmerksamkeit.
    »Das sieht dir ähnlich«, sagte mein Vater zu mir.
    Der Abend war eine Katastrophe.
    »Hast du vielleicht mit ihr gestritten?« fragte meine Mutter vorwurfsvoll.
    »Nein.«
    »Da hast du endlich eine Freundin, noch dazu so ein fabelhaftes Mädchen …«
    »Ich hab dir doch gesagt, daß ich nicht mit ihr gestritten habe, Mama!«
    Bei der Gelegenheit wurde mir klar, daß meine Eltern mir einen Bruch mit Christa nie verzeihen würden.
    Mein Vater brachte keinen Bissen von dem Festmahl herunter, das Christa zu Ehren auf dem Tisch stand.
    »Vielleicht hat sie einen Unfall gehabt«, sagte er schließlich. »Oder man hat sie entführt.«
    »Meinst du?« fragte meine Mutter erschrocken.
    Wütend zog ich mich in mein Zimmer zurück. Sie merkten es nicht einmal.
     
    Am nächsten Morgen sah ich Christa an der Uni mit ihrer Clique plaudern. Ich stürzte zu ihr hin.
    »Wo warst du denn?«
    »Was meinst du?«
    »Gestern abend. Es war Montag, wir haben auf dich gewartet.«
    »Ach ja. Wir haben zu lang gefeiert, Detlev und ich. Und dann hab ich verschlafen.«
    »Und warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?«
    »Ist das denn so schlimm?« seufzte sie.
    »Meine Eltern haben sich Sorgen gemacht.«
    »Wie süß! Entschuldigst du mich bitte bei ihnen?«
    Sie kehrte mir den Rücken und machte mir damit deutlich, daß sie nicht noch weiter ihre Zeit mit mir zu verschwenden gedachte.
    Abends erklärte ich meinen Eltern, so gut ich konnte, die Situation. Christa gegenüber waren sie unendlich nachsichtig und fanden das ganz normal. Ob sie denn am nächsten Montag wieder kommen würde, wollten sie unbedingt wissen.
    »Ich glaube schon«, sagte ich.
    Wie sehr sie sich darüber freuten!
    »Siehst du«, sagte meine Mutter zu meinem Vater, »ihr ist doch nichts passiert.«
     
    Am nächsten Montag kam sie auch wirklich mit zu mir heim. Meine Eltern waren ganz aus dem Häuschen.
    Das hat sie ja gut hingekriegt, dachte ich.
    Ich wußte gar nicht, wie recht ich damit haben sollte. Das wurde mir erst beim Essen klar, als mein Vater das Wort ergriff.
    »Michelle und ich haben nachgedacht, Christa. Wir möchten dir anbieten, die ganze Woche über bei uns zu bleiben. Du schläfst bei Blanche im Zimmer und fährst am Wochenende nach Hause, nach Malmédy.«
    »Du kannst das doch nicht einfach über
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