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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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Christas Kopf hinweg entscheiden, François!« fiel meine Mutter ihm ins Wort.
    »Du hast recht, da sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen. Es steht dir natürlich frei, nein zu sagen, Christa. Aber wir würden uns alle drei so sehr darüber freuen.«
    Ich war fassungslos.
    Christa senkte den Blick.
    »Das kann ich nicht annehmen«, murmelte sie.
    Ich hielt den Atem an.
    »Warum nicht?« fragte mein Vater angstvoll.
    Nun sah man Christa mit ihren Schamgefühlen ringen, bis sie sich endlich zu überwinden schien und eine Antwort hervorbringen konnte. Das Ganze war eine schauspielerische Glanzleistung.
    »Ich … ich könnte die Miete nicht bezahlen«, sagte sie schließlich.
    »Davon war doch nie die Rede«, protestierte meine Mutter.
    »Nein, es geht nicht. Das ist ein viel zu großzügiges Angebot …«
    Ich war vollkommen ihrer Meinung.
    »Das ist ja lächerlich«, sagte mein Vater. »Du würdest uns einen Gefallen tun! Wir freuen uns immer, wenn du da bist! Und Blanche ist völlig verwandelt. Für sie bist du wie eine Schwester.«
    Das war so ungeheuerlich, daß ich fast lachen mußte.
    Christa blickte schüchtern zu mir hin.
    »Und du brauchst doch auch deine Privatsphäre, Blanche, dein Zimmer für dich, das ist doch klar.«
    Ich wollte gerade antworten, als meine Mutter sich einmischte. »Du hättest sehen sollen, wie niedergeschlagen sie war, als du letzte Woche nicht gekommen bist. Sie ist ein wenig ungeschickt, was Freundschaften angeht, weißt du. Also, ich kann dir versichern, es wäre ein unverhofftes Glück für sie, wenn du einverstanden wärst.«
    »Na los, Christa, mach uns doch die Freude«, drängte mein Vater.
    »Wenn das so ist, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, gab sie schließlich nach.
    Anscheinend erwartete sie jetzt von uns eine gewisse Dankbarkeit.
    Meine Mutter ging auf sie zu und umarmte sie, Christa zog vor Vergnügen die Nase kraus, und mein Vater strahlte.
    Ich war zur Waise geworden.
     
    Als ich anschließend mit meinem Vater das Geschirr wegräumte, fragte ich ihn in der Küche, wo Christa uns nicht hören konnte: »Warum hast du mich nicht nach meiner Meinung gefragt?«
    Er hätte natürlich sagen können: »Ich wohne hier und kann einladen, wen ich will.« Das wäre vollkommen legitim gewesen. Doch seine Antwort bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen: »Christa ist nicht bloß deine Freundin, sondern auch unsere.«
    Ich wollte das gerade richtigstellen und ihm sagen, daß sie vielmehr nur ihre Freundin sei, als Christa wie ein Irrwisch hereingesaust kam und krähte: »Ich bin ja so glücklich!«
    Dann warf sie sich meinem Vater in die Arme und küßte mich auf beide Wangen.
    »François, Blanche! Ihr seid jetzt meine Familie!«
    Meine Mutter eilte in die Küche, um nichts von dieser reizenden Szene zu verpassen. Christa lachte vor Freude, hopste durch die Küche und umarmte abwechselnd meine Eltern, die von dieser märchenhaften Frische ganz gerührt waren.
    Ich fand diese übertriebene Kindlichkeit, auf die Christa anscheinend ein Anrecht hatte, vollkommen lächerlich, mußte jedoch zu meiner größten Bestürzung feststellen, daß ich damit ganz allein dastand.
    »Und was ist mit Detlev?« unterbrach ich kalt die allgemeine Harmonie.
    »Wir können uns ja am Wochenende sehen.«
    »Und das genügt dir?«
    »Klar.«
    »Und was sagt er dazu?«
    »Soll ich ihn vielleicht um Erlaubnis fragen?«
    »Bravo, Christa!« jubelte meine Mutter.
    »Wie konservativ!« rügte mein Vater.
    Sie hatten einfach nichts begriffen. Das hatte doch nichts mit Entscheidungsfreiheit zu tun! Ich stellte mir die große Liebe, sofern ich sie jemals erleben sollte, nur so vor, daß ich es ohne das geliebte Wesen gar nicht aushalten würde. Nichts außer der Klinge eines Schwertes könnte uns voneinander trennen. Aber da ich Angst hatte, ausgelacht zu werden, behielt ich diese Ansichten lieber für mich.
    Und sah beunruhigt Christas neue Eltern diese Katastrophe feiern.

 
     
     
     
    A m Dienstag mußte die Intrigantin in ihr Kaff zurück, um noch ein paar Sachen zu holen.
    In der folgenden Nacht kostete ich traurig das Gefühl aus, mein Zimmer für mich allein zu haben. Nicht einmal das Wenige, was man zu besitzen glaubte, gehörte einem wirklich; jedenfalls nur so lange, bis es einem genommen wurde. Das eigene Zimmer ist der ganze Reichtum verlassener Mädchen, der Raum ihrer Träume – nun war es verloren.
    In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf. Ich mußte ständig an das denken,
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