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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum
Autoren: Birgit Schlieper
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auch die Pillen finden sich da. Er schaut auf die Packung. Natürlich ist das Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen, aber das ist hoffentlich nicht so wichtig. Vor allem nicht, wenn man die von ihm beabsichtigte Wirkung erzielen will. Er hatte die Psychopharmaka damals von seinem Arzt bekommen. Verbunden mit der Auflage, eine Psychotherapie zu machen. Julius hatte fürc hterliche Angstattacken gehabt. Zeitweise konnte er nicht einkaufen gehen. Mit rasendem Herzen, zitternden Händen und kaltem Schweiß auf dem ganzen Körper war er immer wieder aus dem Supermarkt gerannt. Er konnte sich nicht in größeren geschlossenen Räumen aufhalten. Er konnte es nicht ertragen, dass an der Kasse jemand nah hinter ihm stand. Er konnte es nicht aushalten, wenn er andere Menschen roch. Immer wieder war er geflohen. Er konnte sich selber eigentlich nicht ertragen und konnte aber schließlich nicht vor sich selber fliehen. Er hatte damals an Kreislaufprobleme gedacht. Eine schlaflose Nacht lang hatte er einen schweren Herzfehler befürchtet. Am nächsten Morgen war er zum Arzt gegangen. Aufmerksam hatte dieser ihm zugehört. Er hatte ihn abgehört, seinen Puls gemessen, ihn abgetastet. Dann hatte er Julius nach dessen Leben befragt. Nach Vater, Mutter, Freundin. Zehn Minuten später hatte er Julius vorsichtig gefragt, ob er vielleicht Angst vorm Leben hätte. Ob er nicht auch glaube, dass er mal mit einer Psychotherapeutin reden wolle. Julius hatte mit leerem Blick genickt. Das war die Diagnose gewesen, die er am meisten gefürchtet hatte.
    Er war krank im Kopf. Irgendwas stimmte mit ihm nicht. Er war neben der Spur. Nicht normal.
    Alle anderen waren gesund, er tickte nicht richtig.
    Er hatte die Pillen damals genommen und versprochen, eine Therapie zu machen. Und doch hatte er nicht eine Nummer auf der Liste, die der Arzt ihm gegeben hatte, angerufen. Warum auch? Er konnte sich schon vorstellen, wie das dann weiterging. Er würde einer fremden Person Dinge erzählen müssen, für die er in der eigenen Erinnerung keine Worte hatte. Er würde Szenen beschreiben müssen, die er in seinem Kopf mit einem Rasiermesser zerfetzt hat, um sie loszuwerden. Er würde zugeben müssen, dass er zugesehen hat. Angewidert, erniedrigt, erregt, beschämt, verängstigt. Das sollte er alles auf den Tisch legen? Niemals.
    Eine Woche lang hatte er die Tabletten eingeworfen. Er hatte sich erst wie in einer Wolke gefühlt. Dann hatte er sich gar nicht mehr gefühlt. Hatte keinen Bezug mehr zu sich. Keine Farbe war mehr klar. Alles war pastellig irgendwie. Er hatte die Hammerdinger abgesetzt und sich eine Schachtel Sicherheitsnadeln gekauft. Immer wenn die Angst zu groß war, hatte er sich gestochen. Er hatte ein größeres Gefühl als die Angst gesucht und gefunden.
    Julius öffnet die Packung. Sieben Pillen sind noch drin. Er hatte auf mehr gehofft. Für Lotta braucht er ja auch noch welche. Zumindest um sie für den Transport zur Jacht ruhig zu bekommen. Wenn er auf der Kinderstation noch genug Schlaftabletten im Schrank findet, kann er vier von seinen Pillen damit mischen und Emilia eintrichtern. Hoffentlich reichte das. Dann hätte er noch drei Pillen für Lotta. Er weiß, dass die Dinger ein bisschen brauchen, bis sie ihre Scheiß-egal-Wirkung entfalten. Sieben bis acht Stunden mindestens. Allerdings ist Lotta körperlich ziemlich down. Die war kurz vorm Verdursten. Also werden die kleinen Pillen bei ihr wahrscheinlich schnell anschlagen. Er spürt Hektik in sich aufsteigen. Emilia ist eine tickende Zeitbombe.
    Er muss den Zünder entschärfen. Sie darf nicht hochgehen. Er dreht den Wasserhahn auf, hält das Gesicht unter den kalten Strahl. Er guckt hoch und sich direkt in die Augen. »Du bist ganz ruhig«, sagt er laut zu dem Gesicht.
    Ich bin ganz ruhig wäre ihm viel zu persönlich.
    In der Küchenschublade findet er die Schere. Ohne zu zögern, schneidet er drauflos. Locke für Locke legt er in das Waschbecken.
    Wenn Emilia sich an ihn erinnert, dann bestimmt an die braunen Locken.

Das Leben vor dem Tod
    S ie schläft nicht. Und sie dreht sich noch nicht mal um, als er die Tür öffnet. Sie steht vor dem Fenster, durch das der Mond hell hineinscheint, und hat den Kopf in den Nacken gelegt.
    Â»He«, sagt er vorsichtig.
    Charlotta wendet nur leicht den Kopf in seine Richtung, ohne ihn anzusehen.
    Â»Glaubst du an ein Leben nach dem
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