Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
Vom Netzwerk:
fragte ich.
    »Komm schon, Junge«, erwiderte Fon Pyre. »Du beschwörst mich doch bloß alle naselang herauf, weil du nichts Besseres zu tun hast. Hättest du so etwas wie Freunde, würden wir uns viel seltener sehen.«
    »Was redest du da?«, fuhr ich ihn an. »Ich rufe dich nur deshalb, weil ich diesen Film machen will.«
    »Und den kannst du in aller Seelenruhe drehen«, meinte er, »weil du kein Sozialleben hast. Stimmt’s, oder habe ich recht?«
    »Weder das eine noch das andere«, schoss ich zurück, obwohl mir nur zu klar war, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Dieser kleine Mistkerl!
    »Wie du meinst«, sagte er gelangweilt. »Du bist ja schließlich nicht derjenige von uns beiden, der dazu verpflichtet ist, die Wahrheit zu sagen.«
    »Ist ja gut. Zugegeben, zu den beliebtesten Jugendlichen gehöre ich nicht«, räumte ich ein. »Aber meine Mitschüler kämen im Traum nicht darauf, die Fragen zu stellen, mit denen ich mich an dich wende. Wenn man ihnen erzählt, das oder das sei eine Sünde, glauben diese Volltrottel es auch noch. Und das nur, weil ein Erwachsener es ihnen gesagt hat.«
    »Ach so, verstehe«, entgegnete Fon Pyre. »Und weil du Dinge hinterfragst, hältst du dich für etwas Besseres?«
    »Ja. Nein! Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Für heute reicht es mir. Ich schicke dich jetzt zurück.«
    »Waschlappen«, gab Fon Pyre zurück. »Lass dich von mir nicht aufhalten, wenn du Wichtigeres zu tun hast.« Er unterstrich seine Worte mit einer obszönen Geste.
    »Verschwinde, du Kreatur des Teufels«, befahl ich. »Kehre zurück in das Reich der Hölle, das dich hervorgebracht hat.«
    Ein gleißender Blitz, und der Dämon samt selbstzufriedenem Lächeln waren verschwunden. Es fuchste mich, dass er mich ertappt hatte. Normalerweise lassen mich seine spöttischen Bemerkungen kalt. Aber heute war eben alles ein wenig anders.
    Der Punkt ging an ihn. Ich glaubte in der Tat, ich sei den Menschen von Ice Lake überlegen. Als schwuler und halbwegs intelligenter Teenager inmitten so einer Gemeinde ist das eigentlich nicht weiter verwunderlich: Immerhin warteten die Leute hier förmlich auf das Ende der Welt und darauf, dass Gott sie jeden Augenblick erretten würde. Wenn mich das zu einem Snob macht, bitte schön.
    Ich packte meine Kamera zusammen, blies die Kerzen aus und war keine zwei Minuten später wieder auf der Feuerleiter. Da die Dreharbeiten für heute beendet waren, war es an der Zeit, nach Hause zu gehen und mir meine Strafpredigt abzuholen, weil ich die Kirche früher als erlaubt verlassen hatte. Vermutlich würde eine Woche Hausarrest dabei herausspringen. Was für jemanden ohne Freunde eine eher milde Strafe war. Dann würde ich die Nachmittage eben damit verbringen, meine Hausaufgaben zu machen oder an meinem Film zu arbeiten. Und zwischendurch ausgiebig zu duschen.
    Als ich zu Hause ankam, wurde mir jedoch sofort klar, dass mir statt eines entspannten Nachmittags die reinste Hölle bevorstand. Father Reedys Auto stand in der Auffahrt, daneben der Minivan der Farmsons.
    Hinter der Eingangstür wartete bereits Tiffany auf mich. Sie hatte sich an den Wandschrank gelehnt und begrüßte mich mit einem Blick, in dem Abscheu und Überheblichkeit mitschwangen. Josh stand hinter ihr und sah mich ängstlich an.
    »Was?«, sagte ich.
    Tiffany blieb stumm. Sie drehte sich um und ging weg.
    »Was?«, wiederholte ich.
    »Ist er das?«, fragte Mom vom Wohnzimmer aus. »Sagt ihm, er soll auf der Stelle herkommen.«
    »Du steckst in großen Schwierigkeiten«, murmelte Josh, machte auf dem Absatz kehrt und hastete hinter Tiffany her.

 
     
     
     
     
     
     

     
     
    Mit einem breiten Lächeln betrat ich das Wohnzimmer.
    »Wie ich hörte, soll ich in ›großen Schwierigkeiten‹ stecken?«, sagte ich und malte Gänsefüßchen in die Luft.
    Ich weiß beim besten Willen nicht, was mich dazu getrieben hat, mit diesem aufgesetzten Frohsinn die sprichwörtliche Höhle des Löwen zu betreten. Vielleicht, weil ich ahnte, worum es ging, es aber nicht wahrhaben wollte.
    »Also«, fuhr ich fort, »wenn ihr sauer seid, weil ich nicht bis zum Ende des Gottesdienstes geblieben bin, dann …« Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass es hier um etwas anderes ging. Wie ich schon sagte, ich legte instinktiv eine groteske Heiterkeit an den Tag. Vermutlich überzeugte mich der Anblick meiner Mutter auf dem Sofa, Father Reedys im Ohrensessel und Mrs. Farmsons im Schaukelstuhl davon, dass es nicht mehr schlimmer kommen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher