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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition)
Autoren: Katja Lange-Müller
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tief durch, lief los ohne Sinn und Verstand. Ob ihr kommen würdet, war mir nicht egal, deinetwegen. Dennoch hätte ich nicht zu sagen gewußt, ob ich mehr hoffte oder eher fürchtete, daß ich übermorgen alleine dasäße mit meinen zwei Litern Bouillon, der Schüssel voll Obstsalat, den vier Kilo Spargel und den zehn Schnitzeln; soviel sollte es schon sein, selbst wenn ich vergeblich auf euch warten und in der Nacht mal wieder alles vor die Tür meiner kinderreichen Nachbarn stellen würde.
    Hinterm Winterfeldtplatz, in einem Laden, der »Zum Affen« hieß und nicht so aussah, als könnte er auch euch zur Einkehr verlocken, gönnte ich mir erst mal ein Bier. Ich war froh, der Situation entronnen zu sein, und vermißte dich doch schon. Allmählich begriff ich, daß ich nun auch hier einen Menschen kannte, einen männlichen zudem, der nicht in solch einem durchsichtigen Sack steckte, den ich damals noch als Zellophan- oder Plaste beutel bezeichnet hätte und nicht mit dem blödsinnigen Wort Plastiktüte, das mir seither kaum leichter über die Lippen kommt (doch derart kleine Opfer darf eine perfekte Assimilation wohl verlangen).
    An die Lokale, in denen ich viele weitere Getränke konsumiert haben mußte, konnte ich mich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern, aber wenigstens daran, daß ich Punkt neun Uhr dreißig den Blumenjob anzutreten hatte. Zwischen Küche und Zimmer fand ich BH, Unterhose, Schuhe, den Sommerhänger, die Strickjacke und meine Tasche wieder. Im Zahnputzglas auf dem Fensterbrett stand, mit Leitungswasser wohlversorgt, auch deine – trotzdem völlig verwelkte – Rose.
    Nur der Harlekin blieb, als hätte ich ihn bloß geträumt, spurlos verschwunden – samt der angeknautschten lila Pappschachtel, aus der ich ihn ganz sicher kein zweites Mal herausgenommen hatte und hätte. Ach, Harry, möge diese Schachtel unseren Harlekin, wohin auch immer es ihn verschlug, für alle Zeiten bewahren – vor Hunden, Katzen und den Blicken einer jeden angeblich vernunftbegabten Kreatur.
    »Essen ist Mist, schon bevor es dazu wird und kaum wieder rauswill aus unsereinem, das hat mich schon seit der Kindheit nicht mehr gereizt. Ich nahm, was es gerade gab, soviel wie nötig, sowenig wie möglich. War auch besser in den Jahren, die dann kamen. Mußte ich kein Geld für ausgeben, hätte ohnehin nichts übrig gehabt. Aber jetzt, unter den Ahnungslosen … Wenn die gut zu dir sein wollen, packen sie dir den Teller randvoll. Und du hast zu schaufeln, sonst gucken sie komisch. Bevor ich die Gabel endgültig niederlege, spreche ich immer ein paar lobende Worte: Tolle Soße, schmeckt fein, der Braten ist ja superzart. Dann strahlen sie wie frisch gefickte Eichhörnchen.«

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IV
    Den Stand neben dem Eingang zum stillgelegten S-Bahnhof Halensee gab es nur an den Wochenenden und Feiertagen der frostfreien Jahreszeit; er gehörte Franz, einem ruhigen, untersetzten, vielleicht fünfzigjährigen Kerl, der, wie Christoph meinte, ostwestfälischen Dialekt sprach. Morgens, wenn Franz, dessen Familiennamen ich nie erfahren habe, die Rosen-, Tulpen-, Chrysanthemen-, Lilien-, Gerbera- und Palmenblätterbündel aus seinem Lieferwagen zerrte, und ebenso abends, wenn er das Geld abholte, die mehr oder weniger leeren Eimer, den großen Schirm gegen Sonne und Regen, die beiden hölzernen Böcke und die mächtige Stubentür, die uns, also mal Christoph, mal mir, als Verkaufstresen diente, hatte er immer »Biene« dabei, seine dicke gelb-schwarz gescheckte Schäferhündin, in der eine Leidenschaft für kalte Bockwürste glomm; doch ansonsten wohl keine, denn sie bellte nie, verließ nicht einmal die Ladefläche des Fahrzeugs, bis Franz oder ich nach vollbrachtem Standaufbau endlich hinüberschlenderten zu dem Kiosk, der ihr Lieblingsfressen feilbot, und selbst dann mußte Franz sie erst mit einem eigentümlich melodischen Pfiff dazu auffordern, richtiger darum bitten.
    Als ich mich zum erstenmal der von Christoph beschriebenen Stelle an der Halenseebrücke näherte, hatte Franz schon damit begonnen, ein paar Utensilien auf die Straße zu räumen, mich aber wohl auch erwartet, mein unsicheres Interesse an seinen Verrichtungen bemerkt, denn er ließ alles stehen und liegen, kam mir ein Stückchen entgegen und nickte seltsam scheu. Seine Augen musterten mich kurz, von unten nach oben, dann reichte er mir zögernd die Hand, eine derart rauhe, daß ich annahm, er sei tatsächlich Gärtner. Franz sah mir, weil er ohne zu erröten keinen
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