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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition)
Autoren: Katja Lange-Müller
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sagen brauchen. Denn einige Schritte weg von dem Tisch, an dem wir drei das Denkmal des vergeigten Rendezvous gaben, stand sperrangelweit die Tür offen, hinter der Menschen wandelten, die sich wahrscheinlich allesamt besser fühlten als ich – in dem einen entscheidenden Moment, in dem ich nicht den Arsch hochkriegte, sondern die Torheit beging, nochmals deinen Blick zu suchen, der jetzt rabenschwarz war, Pupille durch und durch, und meinem lange standhielt.
    Von diesem – oder doch schon von unserem ersten? – Augenblick an beschlich mich das Gefühl, du seiest ungefähr das, was ich auch geworden wäre, wenn es dem Schicksalgefallen hätte, mich als Knaben zur Welt kommen zu lassen – und in jenem vergleichsweise kleinen Teil davon, den ich, hätte er nicht zum »feindlichen politischen System« gehört, unseren hätte nennen können – oder einfach Berlin. Aber so standen zwischen deiner und meiner Kindheit, Pubertät, Jugend außer etlichen Ruinen, Häusern, Bäumen, Sträuchern, Grasnarben noch Mauer, Panzersperren und nervöse, nach Orden, Prämie, Sonderurlaub gierende Grenzer, die mit dafür gesorgt hatten, daß uns mehr unterschied als bloß das Geschlecht.
    Mein Verdacht oder Wunsch, dir ähnlich zu sein, bewirkte keine Nähe; er war, ist, bleibt paradox, nicht zu begründen, vielleicht nur eine emotionale Halluzination. Wir stimmten nicht miteinander überein und paßten auch nicht zusammen, weder äußerlich noch sonstwie. Eher war es so, daß ich bei dir etwas witterte, wofür mir zuerst das magere Wort Gegenteil einfällt. Ich könnte es auch Kontrast nennen, wenn das nicht zu sehr auf Komplementäres, also auf Ergänzung hindeutete. Du warst radikal anders als ich, bist es sicher mehr denn je. Womöglich waren meine – allemal von Fehlinterpretationen, Irrtümern, Rückschlägen begleiteten – Versuche, dich zu ergründen, einfach bloß eigennützig. Vielleicht hoffte ich, über den intimen Kontakt mit dem Fremden, als den oder das du dich mir darstelltest, auch mich erforschen zu können, und hielt es schlicht für gefahrloser, in dir zu entdecken, was ich in mir nur vermutete oder vermuten mochte. Du tatest Dinge, die ich nie getan hätte, aber verstand. Du konntest dich verweigern, wo ich mich auslieferte, so, wie ich es gelernt hatte: gegen meinen Willen, den ich jedoch erst wieder spürte, als du mir zeigtest, wie man nicht nachgibt, egal um welchen Preis. Dir gelang manches, wozu ich unfähig war; ich wiederum meisterte Situationen, in die du gar nicht erst kamst. Und wenn du mich jetzt fragtest, was du mich zum Glück nie gefragt hast, denn damals hätte ich gelogen, würde ich nein sagen; nein, ich liebte dich nicht, obwohl du für mich wie ein Bruder warst (ein passenderes Wort für das, was ich meine, kenne ich ja nicht), aber eben kein leiblicher, sondern einer, der mit mir schlief, vögelte, kopulierte (welchen dieser Begriffe würdest du nicht streichen?), wann immer ich es wünschte.
    Die Stille war quälend; deinen Blick hielt ich auch nicht mehr aus, und für die nächsten fünf Minuten, wenigstens die, hatte anscheinend keiner von uns einen Plan oder zumindest einen Vorschlag. Den machte nun ich, und er überraschte mich mehr als euch. Hört mal zu, Jungs, sprach ich munter wie eine Turnlehrerin, ich muß jetzt wirklich weiter, ein paar Dinge erledigen. Doch falls ihr am Sonntag nichts Besseres vorhabt, könnten wir gemeinsam essen, bei mir in Moabit. Ich mach Spargel mit kleinen Schnitzeln. Oder möchtet ihr lieber Rouladen?
    In deinem Gesicht ging etwas vor, was ich nicht zu deuten vermochte; doch dann erhellte sich deine Miene, so enorm, als wären all die düsteren Gedanken, die sich in den Stirnfalten über deinen eben noch hochgezogenen Augenbrauen verborgen hatten, hervorgekrochen und binnen einer Sekunde zu paarungsbereiten Glühwürmchen mutiert. »Au ja«, riefst du, »Spargel hatten wir lange nicht mehr.«
    Ich schrieb euch meine Telefonnummer, die richtige, auf eine Serviette, ebenso meine Adresse.
    »Aha, Moabit. Auch ne schöne Gegend, stimmt’s, Ben?« sagtest du heiter und seltsam gedehnt, so, als hätte ich gerade einen Witz erzählt, den du dir unbedingt merken müßtest.
    Wir verabredeten uns für sechs Uhr abends. Ich sargte meinen Kasper wieder ein, klemmte mir den Karton unter einen Arm, die Tasche unter den anderen und die Rose zwischen die Zähne und machte mich winkend vom Acker. Ihr hattet behauptet, noch sitzen bleiben zu wollen.
    Draußen atmete ich
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