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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition)
Autoren: Katja Lange-Müller
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Blick erwidern konnte, auf die Brust und sagte eher gleichgültig als freundlich: »Gut, du bist die Neue. Das da«, er wies mir ein zangenähnliches Gerät, »ist der Abdorner, den du für die Rosen brauchst. Rechts am Brettrand hängt die Schere, daneben eine Rolle Blumenbast, die mit dem Einschlagpapier gehört in die Halterung davor. Die Stückpreise«, er wandte sich den Eimern zu, »stehen fest, aber von zwanzig Mark aufwärts kannste was nachlassen. Und das«, er reichte mir zwei schmuddlige Zigarrenkisten, »ist für die Kohle; in die kleinere kommen die Scheine, in die größere die Münzen. Und der hier«, er schob mit dem Fuß einen Schemel unter den aufgespannten Schirm, »ist zum Hinsetzen, wenn’s mal nicht so dolle läuft.«
    Franz nickte nochmals knapp, pfiff nach Biene, und einen Moment später verschwanden sie, erst in, dann mit seinem Lieferwagen.
    Meine ersten Kunden waren drei Frauen, die sich, wahrscheinlich auf dem Weg nach Charlottenburg zum Großeinkauf, noch ein wenig die Zeit vertreiben wollten, weil die meisten Geschäfte nicht vor zehn Uhr öffneten. Also hielten sie kurz bei mir, entschlüpften ihrem VW und forderten »frische Ware, so um die fuffzehn Mark rum, schön bunt, ohne Farnkraut«.
    Ihre Ungeduld wuchs schneller als die Hektik, die ich verbreitete, denn sie mußten mit ansehen, wie ich in meiner ungeschickten rechten Hand gerade mal zehn, aber doch viel zu viele immer wieder seitlich gegeneinanderfallende Stiele immer wieder neu arrangierte, bis ich sie einigermaßen unter Kontrolle, also im Griff hatte – und weiterhin nur die linke frei, die nun versuchte, all die nassen Enden so fest zu umwickeln, daß der Strauß meiner Vorstellung von einem solchen wenigstens einigermaßen nahekam. Die Frau, die mein Werk schließlich entgegennahm, sagte nichts; auch das nächste, für das ich wieder eine Ewigkeit brauchte, wurde wortlos ergriffen und bezahlt. Einzig die älteste der Damen erwies mir, als ich mich anschickte, mein drittes Gebinde zu fabrizieren, so etwas wie herablassend-spöttische Sympathie. »Packen Sie den ganzen Salat einfach lose ins Papier. Ich mach das dann zu Hause selber«, sprach sie und ließ ihr Wechselgeld liegen.
    Als die Frauen weg waren, herrschte ein Stündchen Ruhe; ich konnte üben. Bis Mittag ging es schon besser, zumal kaum jemand vorbeischlenderte, um eine Blume zu kaufen oder gar einen Strauß. Aber als ab vier – schnapsfahnenumweht – die Männer anrückten und das wollten, was Christoph während unseres »Einarbeitungsbesäufnisses« mit leuchtenden Augen »Drachenfutter« genannt hatte, trat mir doch wieder der Schweiß auf die Stirn. Sie standen, obwohl Valentins- und Muttertag Wochen zurücklagen, Schlange wie im Osten und tauschten Fünfzigmarkscheine gegen dicke Bunde langstieliger »Burgund«, die bis ins Detail jener Rose glichen, die du mir einige Zeit später schenktest, nur daß deine solo war – und auch die einzige blieb – in des Wortes zweifacher Bedeutung.
    An diesem Samstag, meinem dritten am Stand und dem ersten nach unserer Begegnung, hatte ich Franz gleich morgens darum gebeten, früher Schluß machen zu dürfen. Ich erfand eine geschiedene Schwester mit drei kleinen Kindern, die plötzlich krank geworden wäre, so krank, daß ich hinfahren und die Würmchen füttern, waschen, zu Bett bringen, in den Schlaf singen müßte … »Ist gut«, unterbrach mich Franz, »will ich gar nicht hören.«
    Schon mittags kam er wieder. Ich wollte ihm helfen, seinen Krempel einzuladen, doch Franz meinte bloß: »Laß nur. Ich verkaufe noch ein bißchen weiter.«
    War leider auch nicht viel los bis jetzt, sagte ich verlegen und schob Franz die Zigarrenkisten zu; aber er nickte nur. Nicht ein einziges Mal habe ich erlebt, daß Franz nachrechnete oder fragte, was ich eingenommen, ob ich Trinkgeld kassiert, mir aus einer seiner beiden Kisten vielleicht einen Imbiß spendiert oder Blumen weggeschenkt hätte. So begann ich Franz, der uns immerhin acht Mark pro Stunde bar auf die Kralle zahlte, ein wenig zu bestehlen, achtete jedoch streng darauf, daß die Differenz zwischen der Menge fehlenden Blühzeugs und der des in den Zigarrenkisten verbliebenen Geldes nicht zu groß wurde. Ich wußte ja nicht, wie Christoph die Sache handhabte, wagte es auch nicht, mich danach zu erkundigen, denn ihm allein verdankte ich diesen prima Job. Und da ich nicht ausschließen konnte, daß Christoph ehrlich war oder zumindest nicht in dem Maße betrog wie ich,
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