Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boese Maedchen sterben nicht

Boese Maedchen sterben nicht

Titel: Boese Maedchen sterben nicht
Autoren: Kim Harrison
Vom Netzwerk:
bisschen länger hinzusehen.
    »Was immer es ist, sie sollte genau so weitermachen«, sagte er und warf noch einen Blick über die Schulter. »Ihre Bilder haben alle so etwas … Ungezähmtes an sich. So als würde man durch sie Trauer, Sorge oder Freude zum allerersten Mal erleben.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich«, erwiderte er und machte dann auf dem Absatz kehrt. »Das ist aber nicht unser städtisches Krankenhaus, oder?«
    »Äh, darauf hab ich gar nicht geachtet.« Verstört blieb ich vor Nakitas letztem Foto stehen und bekam eine mittlere Panikattacke. Das hier kannte ich noch gar nicht - und ich hatte auch nicht bemerkt, dass sie es aufgenommen hatte. Dem kleinen Schild nach zu urteilen, das draufklebte, hatte sie dafür eine Auszeichnung bekommen. Aber das war nicht der Grund, aus dem mir gerade leicht übel wurde. Auf dem Foto war ich von hinten zu sehen, wie ich mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen einen dunklen Bürgersteig hinunterging. Neben mir war Shoes Haus bei Nacht zu erkennen und hinter mir schwebte ein ganzer Schweif von glühenden Kugeln wie Seifenblasen. Es mussten mindestens fünfzig sein. Verdammt, waren etwa die ganze Zeit so viele Schutzengel bei mir gewesen, ohne dass ich auch nur etwas davon geahnt hatte?
    »Ähm, willst du dir nicht mal meine angucken?«, fragte ich und zog meinen Dad am Arm, um ihn zu meiner Mutter hinüberzulotsen, die vor meinen drei Bildern stand. Ihre schicke Handtasche über dem Arm hatte sie die hohen Absätze fest in den zerkratzten Boden des Einkaufscenters gestemmt, als wären meine Fotos die einzigen weit und breit. Doch mein Dad rührte sich nicht und sein Blick lag auf Nakitas Schwarz-Weiß-Foto von mir mit den Engeln.
    »Wie hat sie das denn gemacht?«, fragte er und sein Finger schwebte über den Lichtkugeln. »Und wieso? Hat sie da zwei Bilder übereinandergelegt, was meinst du?«
    »Wahrscheinlich«, erwiderte ich und wurde immer nervöser. Waren die Engel mir gefolgt, um meine Fähigkeiten als Zeitwächterin zu überprüfen? Barnabas schien der Meinung zu sein, dass Schutzengel trotz ihrer geringen Größe sogar noch mehr Macht hatten als die Seraphim. Warum eigentlich nicht? Irgendwo hatte ich mal gehört, dass der Platz der Cherubim neben Gottes Thron war. Aber je mehr ich mich mit Engeln rumtrieb, desto klarer wurde mir, dass wir nicht den Hauch einer Ahnung hatten.
    Mein Dad ließ plötzlich die Schultern hängen und sein Blick wurde traurig, als er sich das Bild genauer ansah. Ich zögerte, doch ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht vom Fleck rühren würde, bis seine Neugier gestillt war. Also stellte ich mich schließlich neben ihn. Angestrengt versuchte ich zu sehen, auf was er sich konzentrierte - nicht, was sich tatsächlich hinter der Glasscheibe befand, sondern was im Kopf des Menschen vor sich ging, der das Foto gemacht hatte.
    Das Schwarz-Weiß verlieh dem Bild eine irgendwie körnige Schärfe und ich sah aus, als lastete auf meinen Schultern das Schicksal der gesamten Menschheit. Ich erinnerte mich noch sehr gut an diese Nacht, Nakita hatte meine Stimmung perfekt eingefangen - meine Sorgen und den Wunsch, das Chaos, das ich angerichtet hatte, wiedergutzumachen. Und während ich das Bild betrachtete, schien sich dieselbe Erschöpfung wieder über mich zu senken. Nakita war gut. Verdammt gut.
    »Ist es so schlimm?«, flüsterte mein Dad und in seinem Blick lag ein feiner Ausdruck von Schmerz, als er mir das Gesicht zuwandte. »Ich dachte eigentlich, du wärst glücklich hier. Wenn du vielleicht wieder zurück zu deiner Mutter ziehen möchtest…«
    »Nein!«, versicherte ich eilig und umarmte ihn von der Seite, wobei ich fast schon wieder meinen Milchshake verschüttet hätte. »Ich bin glücklich. Mir gefallt es hier. Und ich wohne gerne bei dir. Ich fühle mich hier so … ausgeglichen«, sagte ich und benutzte bewusst eines seiner Lieblingswörter. »Das da war nur kein schöner Abend. Du weißt schon … wie das manchmal so ist mit Jungs. Aber jetzt ist wieder alles okay.« Ich warf einen Blick zu Josh im Imbissbereich hinüber und blinzelte. Barnabas stand bei ihm. »Ich hab noch nicht mal gemerkt, dass sie mich fotografiert hat«, schloss ich.
    Mein Dad sah zu meiner Mutter hinüber, die auf meine Fotos starrte, als hätte sie die Mona Lisa vor sich. »Wenn du ganz sicher bist…«
    »Hundertprozentig«, sagte ich eindringlich und fügte dann hinzu: »Aber sag Mom nichts davon, ja? Bei ihr muss ich immer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher