Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition)
Autoren: Myla Goldberg
Vom Netzwerk:
geworfen, und das erschreckte sie fast ebenso sehr wie alles, was sie sich ausgemalt hatte. Erst als sie schlaflos in Hucks Armen lag, wurde ihr klar, warum sie ihn so falsch eingeschätzt hatte. Das elfjährige Mädchen, das sie Huck beschrieben hatte, war eine Fremde für ihn. Nur Celia erkannte dieses Mädchen und das, was sie getan hatte, wieder. Weder Bellas leise Geräusche im Schlaf noch Hucks Wärme, die sie umfing, halfen gegen die Einsamkeit ihres Wissens um ein Geheimnis, das sie nicht bewahren wollte.
    Wenn Celia sonst an Weihnachten mit Huck zu ihren Eltern flog, kam ihr der Urlaubsflieger immer vor wie ein Kombi, in den man sämtliche Bewohner eines Mehrfamilienhauses gestopft hatte; die Stewardessen übernahmen die Mutterrolle und verteilten regelmäßig Extrapackungen mit Nussmischungen, um die Sind-wir-bald-da-Fragen hinauszuzögern. Diesmal war das Flugzeug halb leer, und statt mit Huck um den Fensterplatz zu feilschen, hatte Celia eine ganze Sitzreihe für sich. Als sie zum allerersten Mal mit dem Flugzeug nach Hause flog, war Huck dabei – und Celias übliche einsame Fahrt komprimierte sich zu einem Ausflug von der Länge eines Hollywoodfilms. Sie hatte sich schwergetan, die siebenhundert Meilen Highway aufzugeben, auf denen ihr Vorwärtskommen sich nach Tankfüllungen und Dr.-Pepper-Dosen bemaß und ihre Gedanken sich an der gestrichelten gelben Linie ausrichteten. Diese alljährliche Fahrt war eine natürliche Erweiterung der Wochenendausflüge, bei denen sie mit dem Auto ihren neuen Heimatstaat erkundete und die ihr ebenso zur Gewohnheit geworden waren wie die Sonntagszeitung. Celia genoss es, sich auf der Landkarte eine Strecke zurechtzulegen und ihr zu folgen – einfach ein Ziel zu formulieren und es dann zu erreichen. Durch den Rahmen der Windschutzscheibe fielen ihr Details ins Auge, die sie sonst womöglich übersehen hätte: eine von Hand gemalte Reklametafel, eine Trockensteinmauer. Mitunter hatte der Klang der Reifen auf wechselndem Untergrund – glatter Teer, verwitterter Asphalt oder der Metallrost einer Brücke – ihr sogar neue Gedichte eingegeben.
    Sie hatte Huck in ihrem letzten Jahr am Reynolds-College kennengelernt. Er war nach einer Lesung auf sie zugekommen und hatte ihr Gedicht gelobt, ein Sonett, dessen Anfang ihr bei der Überquerung einer überdachten Brücke in Long Grove in den Sinn gekommen war, die No songs, no songs, no songs zu summen schien. Die Lesung fand im Studentenzentrum vom Reynolds statt, wo Celia wegen ihrer Omnipräsenz oft für eine Angestellte gehalten wurde. In jenem Semester war sie Schatzmeisterin von zwei Studentenvertretungen, Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift und Koordinatorin für die Eilaktionen der Studentengruppe von Amnesty International. Huck war ein Fremdling in Reynolds. Mit seinen haselnussbraunen Augen, dem markanten Kinn und seiner Unverplantheit hatte er in Celia das gleiche abstrakte, wohlwollende Interesse erregt, das sie bei der Beobachtung eines anmutigen, frei lebenden Tieres empfand – bis sie herausfand, dass er erst in seinem zweiten Collegejahr Autofahren gelernt hatte: ein exotischer, absurder Umstand, der ihn weniger unerreichbar erscheinen ließ. Statt sich sein Interesse an ihr einfach gefallen zu lassen, begann sie ihn mit ihrem Wagen zu umwerben, lockte ihn mit sorgsam ausgearbeiteten Routen: alte Strecken westlich des Sees, die an Wäldern vorbei und durch die Prärie führten, eine Pilgerfahrt zu den Wassertürmen von Calumet County mit ihren Smiley-Gesichtern. Ihre einsamen Ausflüge hatten ein Ende, an die Stelle der obskuren poetischen Laute der Straße traten lebhafte Gespräche über viele Meilen hinweg, wiewohl Huck, auch als sie ihn schließlich erobert hatte, gegen die subtileren Reize einer zwölfstündigen Autofahrt immun blieb. Um ihre Nervosität vor ihrem ersten gemeinsamen Flug zu bezwingen – so weit und so rasch waren sie in ihrer Beziehung bis dahin noch nie vorangekommen –, hatte sie ihr traditionelles Rastplatzpicknick eingepackt, mitsamt rot karierten Servietten für die ausklappbaren Tischchen in der Rücklehne; das kalte Huhn auf ihren Tellern zog begehrliche Blicke von der anderen Seite des Gangs auf sich.
    An diesem Morgen hatte Celia nicht einmal an die grundlegenden Annehmlichkeiten für eine Flugreise gedacht – eine Wasserflasche, eine stumpfsinnige Zeitschrift –, doch beim Griff in ihr Handgepäck fand sie die vertraute rot karierte Serviette, um einen Bagel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher