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Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition)
Autoren: Myla Goldberg
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Russenpuppe in seine Konturen.
    «Er hat ein schlechtes Gewissen», sagte ihre Mutter. Sie hielt ihr Weinglas am Stiel, mit abgespreiztem kleinem Finger wie bei einer vornehmen Einladung zum Tee. Anders als beim Abendessen, wo sie damit rasch bei der Hand war, hatte sie Celia spätnachmittags bislang nie angeboten, einen Schluck Wein mit ihr zu trinken: eins der wenigen noch bestehenden Unterscheidungsmerkmale zwischen Mutter und Tochter, eine in wechselseitiger, stummer Übereinkunft aufrechterhaltene Grenzlinie.
    «Weshalb sollte Daddy ein schlechtes Gewissen haben?», fragte Celia.
    «Du weißt doch, wie es ist.» Noreen zuckte mit den Achseln. «Er gibt sich immer die Schuld, auch wenn dazu gar kein Anlass besteht.» Sie nippte an ihrem Wein. «Als die Schwierigkeiten mit deinem Bruder anfingen, hat dein Vater sich sehr daran geklammert, dass es mit dir doch immer gut gelaufen ist; darum war ich auch so froh, als du gestern Abend bei deinem Anruf nicht gleich mit allem herausgerückt bist. Ich hätte kein Problem damit gehabt, aber er braucht vermutlich nur den Namen Djuna zu hören … Du warst noch so blutjung, als das passiert ist, und auf so etwas waren wir einfach überhaupt nicht vorbereitet. Das gilt sicherlich für alle Eltern, aber wir wussten wirklich nicht, was wir tun sollten.»
    Es war sehr still, wie sie zwei da so saßen und Warren oben schlief; das ganze Viertel befand sich in der nachmittäglichen Ruhepause vor der Heimkehr derer, die sich keinen Tag freigenommen hatten, um ihre vagabundierende Tochter vom Flughafen abzuholen.
    «Du wolltest nicht darüber reden», sagte Noreen, «hast nicht mal ihren Namen erwähnt. Damals hat dein Vater sein erstes Magengeschwür bekommen, vor lauter Sorge, ob wir uns auch richtig verhalten. Wir haben uns bemüht, locker damit umzugehen, haben es zu unterschiedlichen Tageszeiten zur Sprache gebracht, haben es sogar mit Bestechung versucht, aber aus dir war kein Wort herauszubekommen. Nach einer Weile haben dein Vater und ich dann beschlossen, dir Zeit zu lassen, bis du so weit bist, aber du hast nie von dir aus ein Gespräch angefangen. Bis uns klar wurde, dass es dabei bleiben würde, war schon so viel Zeit vergangen, dass wir uns dachten, Druck auszuüben würde die Sache nur noch schlimmer machen. Und jetzt, nach all den Jahren, kommst du damit an.»
    Die tiefstehende Sonne ließ das Erkerfenster erglänzen. Die beiden Sessel im Partnerlook blickten auf einen Breitbildfernseher, der anlässlich eines jüngeren Hochzeitstags ins Haus gekommen war. In seiner spiegelnden Oberfläche sahen Noreen und Celia aus wie am Boden eines Schwimmbeckens gestrandete Gegenstände.
    «Mommy?» Celia holte tief Luft. «Ich glaube, ich will es schlicht loswerden, so schnell wie möglich.»
    Sie hielt inne. Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
    «Noch nicht», sagte Noreen. «Ich halte es für besser, wenn wir uns heute einen ruhigen Abend machen, und morgen kannst du dann zu mir in die Schule kommen.»
    «In die Schule? Wieso das denn?» Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte Celia das Gefühl, vom Zehnmeterbrett heruntergezerrt zu werden, nachdem sie endlich genug Mut zusammengekratzt hatte, um zu springen. «Wo Daddy doch gerade schläft, können wir da nicht …? Ich meine, findest du nicht, dass das der ideale Zeitpunkt ist?» Ihre Stimme klang quengelig, als hätte man ihr einen weiteren Keks, eine Extragutenachtgeschichte oder die Autoschlüssel verwehrt.
    «Bitte sei nicht böse, Schätzchen», sagte ihre Mutter ungewohnt sanft, in Abkehr von all ihren früheren Kämpfen. «Aber es wäre mir erheblich lieber, wenn wir damit noch warten. Aus dem, was mit Jem passiert ist, habe ich gelernt, dass man aufpassen muss, was man wann und wo sagt, sonst kann es lange dauern, bis …» Sie schüttelte den Kopf. «Außerdem bekommst du so endlich mein Büro zu sehen! An Weihnachten ist die Schule ja immer geschlossen. Du wirst staunen, wie nett es da ist. Genau das Richtige für einen Plausch. Sehr heimelig, richtig gemütlich.» Ihr Lächeln heischte um Verständnis. «Komm morgen Vormittag, wenn du ausgeschlafen hast. Ich denke, solche Dinge sollte man besprechen, wenn der Tag noch frisch ist.»
    Noreen drückte auf die Fernbedienung, und einen Moment später dudelte ein Werbespot für irgendeinen Snack durch den Raum. In solchen Augenblicken kam Celia ihr Teenager-Ich vor wie eine hässliche Bluse, die sie in der Schublade ganz nach hinten gestopft hatte, ohne schon
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