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Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition)
Autoren: Myla Goldberg
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fragte Celia.
    Warren hob die Schultern, ohne sich umzudrehen, und zog den Koffer betont lässig hinter sich her. «Jeden Tag anders. Bei Kälte immer nicht so besonders.»
    «Heute ist es aber nicht kalt», sagte Celia.
    «Heute geht es auch», erwiderte er. Im Gästezimmer machte er Anstalten, den Koffer auf das Bett zu heben, ließ ihn dann aber an Ort und Stelle stehen.
    Niemand wusste mehr, seit wann das kleinste der vier Schlafzimmer bei ihnen die Schottische Suite hieß; fest stand nur, dass die Karotapete schon vor ihrem Einzug da gewesen war und der Spitzname es ihnen erlaubte, den Raum als Beweis für ihren Familienhumor und nicht für ästhetische Nachlässigkeit zu betrachten. Noreen hatte auf der unverwüstlichen Singer-Nähmaschine, die jetzt in einer Ecke Staub ansetzte, Halloweenkostüme in Hülle und Fülle gezaubert. Als Celia noch zur Highschool ging, hatte die karierte Tapete für sie alles symbolisiert, was das Leben zu Hause unerträglich machte: das unmelodische Gesumme ihres Vaters, die Riesenschüsseln mit Knabberzeug, die ihre Mutter auftischte, und die Begeisterung ihrer Eltern über jeden Schwachsinn, für den ihr Bruder sich interessierte. Beim ersten Anzeichen von Gästen floh sie regelmäßig nach oben und vergewisserte sich, dass ihre Zimmertür fest zu war – eine von verschiedenen kümmerlichen Maßnahmen, mit denen sie die Peinlichkeit ihres Elternhauses zu ertragen versuchte. Bei Hucks erstem Besuch hatte Celia sich, schon halb die Treppe hinauf, zu ihm umgedreht und ihn in gedämpftem, ernstem Ton, als fürchte sie, die Schottische Suite werde ihn auf dem Absatz kehrtmachen lassen, über die Schlafordnung unterrichtet. Vor langer Zeit waren solche Dinge einem Geständnis gleichgekommen.
    «Deine Mutter hat dir auch das andere Bett hinten in deinem alten Zimmer zurechtgemacht», sagte Warren, als sie vor der ausgeklappten Couch standen. «Das hier ist ja nicht gerade das bequemste.»
    Die Matratze in der Schottischen Suite hing durch wie der Rücken eines alten Kleppers und knarzte schon beim bloßen Gedanken an Bewegung. Nach Hucks Antrittsbesuch hatte Celia ein besseres Bett beantragt und von Noreen zu hören bekommen, es werde bewilligt, wenn Hochzeitsgäste ins Haus stünden. Celia und Huck behalfen sich im Folgenden damit, auf dem Boden neben dem Nähtisch übereinander herzufallen. Obwohl Celias Mutter Huck schon vor langer Zeit seinen eigenen Strumpf für die Weihnachtsgeschenke gestrickt hatte, blieb das Klappungetüm, wo es war, als letztes sichtbares Symbol von Noreens fortdauernder Hoffnung für ihre Tochter.
    «Huck kommt ja am Wochenende nach», sagte Celia. «Da wäre es doch Quatsch, die Zimmer zu wechseln.»
    «Huck ist ein feiner Kerl», sagte ihr Vater und tippte auf den ausziehbaren Griff des Rollkoffers. «Ich nehme an, du redest mit ihm über … wenn irgendetwas anliegt?»
    «Ich erzähle Huck alles.» Bei dem Gedanken, dass sie am Vortag um diese Zeit noch in ihrem Schlafzimmer in Chicago auf Hucks Heimkehr gewartet hatte, geriet Celias innere Uhr leicht aus dem Takt.
    «Das ist gut.» Warren nickte und trat den Rückzug an. «So haben deine Mutter und ich es auch immer gehalten.»
    Er verschwand im Flur. Aus dem Schlafzimmer nebenan hörte sie das Quietschen der Bettfedern, das sein tägliches Nickerchen ankündigte. Wenn er schlief, sah man ihrem Vater sein Alter stärker an als sonst. Auch Jahre nach den ersten Anzeichen von grauen Haaren und Pölsterchen am Bauch erschreckte es Celia noch, wie rasch ihre Eltern alt wurden. Es waren verwirrende Augenblicke einer verspäteten Erkenntnis, die im Geiste abgespeicherte Schnappschüsse überholt erscheinen ließen. Sie bemerkte die schlaffer werdende Haut um die Kinnpartie ihres Vaters, die dunklen Tränensäcke, die kein Schlaf mehr fortzauberte. Als Noreen ihren Mantel zuknöpfte, sah Celia blaugraue Adern auf ihren runzlig werdenden Händen hervortreten; diesen Anblick hatte sie bisher ausschließlich mit ihrer Großmutter verbunden, die mit achtundsechzig gestorben war – was mittlerweile nicht mehr so schrecklich alt erschien.
    Celia ging wieder nach unten ins Fernsehzimmer, wo Noreen im linken der beiden identischen Sessel ruhte, die sie und Warren anlässlich ihres fünfzehnten Hochzeitstages erstanden hatten. Zwei Jahrzehnte danach hatten Besitzer und Besitzerin in ihrem jeweiligen Möbel ihre Abdrücke hinterlassen. Celia fügte sich auf dem Sessel ihres Vaters wie eine um eine Nummer kleinere
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