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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht
Autoren: Sylvie Schenk
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er sie ausgesucht hatte. Oder auch nicht. Sie hatte es satt, allein zu sein, sie wollte starke Arme um sich spüren, ein Nest, nichts als das Klassische wollte sie, dass ihr eigener Geruch sich mit dem Geruch eines anderen mischt. Der alte Traum der Vermischung, der Vereinigung. Sie hatten gesoffen, Bier, Schnaps, Wodka. Sie sah noch die Flaschen auf dem grauen Teppichboden. Sein Mund an ihrem, hungrig, tierisch, er stieß raue Laute aus, sie küsste einen Hund. Der Hund biss, sie wischte sich seine Spucke um ihren Mund mit dem Betttuch ab.
    Beinahe wäre sie gestolpert, sie hielt sich an Andreas’ Ärmel, der vor ihr stehen geblieben war, an, sie scherte aus und blinzelte in der untergehenden Sonne auf den großen, glitzernden See, und dann sah sie vor ihren Füßen die Frauenleiche und schrie auf. Hast du sie noch alle?, grinste Andreas. Die anderen drehten sich erschrocken um.
    Windstille. Die Tote lag da. Das Schilf schwieg.

FELD 4: OTTA
    Wer einen Engel sucht und nur auf die Flügel schaut, könnte eine Gans nach Hause bringen.
    C HRISTOPH L ICHTENBERG
    Seine Mutter wohnte längst allein in der Villa, aber in der Diele des Hauses stand ein hölzerner Garderobenständer mit einem Mantel, einer Jacke und einem Blouson. Lumpen der Verschollenen: Der grüne Loden ihres verstorbenen Mannes nahm seit fünfzehn Jahren Staub an, die Hausjacke hatte Hausfreund, Arzt und Psychotherapeut Doktor Jürgen Bodin nach ihrer Trennung hier hängenlassen, und Martins zerschlissener Lederblouson erzählte ihr von ihrem missratenen Sohn. Es gefalle ihr, an diesen Ständer ihren eigenen Mantel zu hängen, wenn sie nach Hause komme, als bestünde hier noch eine Hausgemeinschaft. Alle gehörten noch zu ihrem Leben, es tue ihr gut, sie fühle sich weniger allein. Seine Mama hatte Sinn für Pathetisches. Man könnte auch denken, sie wälze sich gerne in welken Erinnerungen, oder sie hege eine Art Fetischismus, oder sie sehe diese Klamotten als Trophäen ihrer Eroberungen. Nichts dergleichen. Sie waren irgendwie alle noch ein bisschen da, in ihrem Lebenssystem eingeschlossen. Sie (auch das Putzmädchen Simone, dessen Schürze ebenfalls dort hing) waren systemische Teile ihres romanhaften Lebens. Vor dem Garderobenständer zwinkerte Bodin Martin zu: Paula lässt uns hängen, weil wir sie haben hängenlassen.
    Er stellte also seiner Mutter die Gans vor: Die Gans Angela, sagte er, dem Gefieder nach weiblich. Angela, ich stelle dir Paula Vanderbeke, meine Mutter, vor. Diese fuhr, wie öfter nach drei Whiskys, mit schwerem Geschütz auf: Und wie isess mit dir heute? Männlich oder weiblich? Martin reagierte auf ihre Provokation nicht und bat: Kannst du dir die Wunde am Fuß ansehen? Sie hob die Schulter: Geh doch zum Tierarzt mit dem Vieh, ich bin nicht dafür zuständig. Der Fernseher lief, und er erinnerte seine Mutter daran, dass Fernsehen und Alkoholkonsum Alzheimer begünstigten, das sei wissenschaftlich erwiesen, sie aber züngelte scharfzüngig wie immer: Das sei ihr Problem, nicht seins, sie gucke nun mal in die Röhre, haha, da ihr Sohn sich so selten blicken lasse (er hatte sie vor drei Tagen besucht), und Menschen, die auf digitale Weise ihre Stimmen und Handlungen in das Haus hineinbrächten, seien willkommen, ja sie gucke in die Röhre (sie war stolz auf ihr Wortspiel) wie Tote in den Tunnel zurückblicken, um die grotesk gestikulierende Menschheit zu beobachten. Fernsehen sei Spektakel, so plauderten allerlei Leute in ihrem postumen Leben, sie erinnerten sie an Dinge, die sie selbst nicht mehr erlebe und sowieso nie erlebt habe, denn sie habe ihm und seinem Vater ihr ganzes Leben geopfert. Du brauchst, unterbrach er die Leier, nicht so viele Worte, um mir zu sagen, dass du gern Dangerous Wife anschaust. Deine Sache, ja, und dein danger.
    Seine Mutter war nie um eine Ausrede verlegen gewesen, ihre Beziehung nährte sich von ihrer Aufregung, jedes zweite Wort ein Vorwurf, eine Spitze. Witwen brauchen Stimmen, ein Radio, erklärte sie, einen Fernseher, das Radio sei für den Krieg entwickelt worden und im Gegensatz zu dem Panzerwagen auch in Friedenszeiten gut zu gebrauchen. Wenn es ihm, Besserwisser und Pedanten, nicht gefalle, könne er sofort verschwinden. Martin grinste bloß. Sich gegenseitig Vorhaltungen zu machen, Zurechtweisungen aller Art, das war ihr persönliches Gesellschaftsspiel, wobei er schnell seine Grenzen
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