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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht
Autoren: Sylvie Schenk
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arg ironisch.
    Doch als Paula aufstand, glaubte Bodin das Gesumme eines Baumes zu hören. Es war nur das Rascheln ihres seidenen Kleides, denn sie hatte, wenig überraschend, für diesen Tag das schönste Kleid der besten Berner Boutique ausgewählt. Er aber sehnte sich nach einem Baum auf einer Wiese, nach dem Wind in einem Baum und nach Freiheit.
    Wir haben auch Schweizer Pralinen mitgebracht, grinste Martin, möchten Sie eine, Onkel Jürgen?

FELD 63: DAS GLÜCK DES FRÜHJAHRS
    Das Wort »Frühjahr« in der Sprache einiger Länder, die sich auf der Flugroute der wilden Gänse befinden.
– la primavera – le printemps – voorjaar – Frühling – forår –
    Am Ende des Winters saßen sie beide am Blausee und warteten mit Feldstechern auf den Rückflug der wilden Gänse. Martin erzählte, dass Gänse öfter homosexuell seien und mit einem Weibchen zu dritt zusammenlebten, bis ihre Küken groß genug waren, um für sich selbst zu sorgen. Dann würde das Weibchen das schwule Paar verlassen. Für uns Menschen ein Modell unter anderen, sagten beide. Frösche sprangen zwischen dem Schilf, ein Blitz, ein Klatschgeräusch. Weiße Birkenstämme streckten sich gen Himmel, einen schwarzen Gewitterhimmel, mal dunkler, mal von Sonnenstrahlen gestreift, die durch die Wolkenbänke brachen. Ein Graureiher am anderen Ufer drehte seinen Hals in ihre Richtung, ein Raubvogel, den Martin als eine Rohrweihe identifizierte, zog eine breite Spirale in der Luft, bevor er im Schlagflug nach seiner Nahrung spähte, sich darauf stürzte (Frosch? Kleiner Vogel?) und sich dann wieder in die Luft erhob und davonsegelte. Wenn Liliane und Martin schwiegen, konnten sie im Rauschen der Bäume den Lockgesang von unsichtbaren Vögeln hören, hier und da einen Warnruf, ein Glucksen, ein Teichrohrsänger warf einen knarrenden Alarmruf und flatterte davon, es folgte ein Piepsen, das sogar Martin nicht gut zuordnen konnte, der sich jetzt aber fragte: Schwimmen oder nicht schwimmen? Auch Liliane zögerte: Mitschwimmen oder lieber auf ihrem Regenmantel sitzen bleiben? Das vom Wind gekräuselte Wasser verführte einen dazu, sich seinem silbrigen Glanz hinzugeben und sich mit langsamen Schwimmbewegungen von ihm verschlingen zu lassen. Die Vernunft aber klapperte mit ihrem Gebiss dagegen, greisenhaft murmelnd, dass man sich diese Grausamkeit lieber nicht antun und von der spärlichen Sonne bestrahlen lassen sollte, die mit dem Wind an ihrer Seite die schwarze Gewitterfront besiegte, die vielleicht weiter nach Osten ziehen würde. Sollen wir? Sollen wir nicht? In den zwei jungen Menschen wurde die zittrige Greisenstimme von einem korrekten ökologischen Grundton unterstützt: Wenn wir ins Wasser schreiten, stören wir vielleicht versteckte Vögel beim Brüten, das Laichen unsichtbarer Lurche, oder nur die Siesta der versteckten Ringelnattern, die sich gerade sonnen. Vor allem aber war ihr Gespräch noch nicht abgeflaut, es blieben noch so viele Dinge, die hier im rauschenden Schilf geflüstert werden sollten. Dass es schon immer Zwitter gegeben habe, sagte Liliane, in der Mythologie bei Platon, in der realen Welt der früheren und der heutigen Zeit, und dass sie eine seltene Vollkommenheit des Lebens darstellen. Du brauchst mich nicht zu überzeugen, antwortete Martin und legte seinen Kopf an Lilianes Schulter, ich bleibe wie ich bin, ich stimme mit dir überein, ich kann so ganz gut weiterleben. Beide ließen das Wort Ȇbereinstimmung« in sich schmelzen, im See versinken, in den Bewuchs der Ufer rinnen, in die Luft emporsteigen und sich bei den Birkensprossen einnisten. Sollen wir es doch tun?, fragte Martin, als die Wildgänse sehr laut zu grüßen begannen. Und beide warfen mit ihren Klamotten die alte Stimme der Vernunft und die tiefen Töne der Korrektheit ab und liefen nackt ins sehr kalte und reine Wasser.

EPILOG
    Zitate aus »Der Roman meines Lebens« – für Leser, die unbedingt alles wissen wollen.
    Der Gefangene Herr K., der Evelyn erwürgt und ertränkt hatte, wird für viele Jahre seine Sadomaso-Spielchen im Gefängnis ausüben können.
    Es wird nicht geputzt oder gehurt, sondern studiert. Simones klares Ziel ist es, Jugendanwältin zu werden. Ich passe auf.
    Tobias Wildenhain beglückt mich zu jedem Geburtstag. Er wird in dieser unharmonischen Welt noch viel Ausdauer beweisen
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