Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht
Autoren: Sylvie Schenk
Vom Netzwerk:
Spaziergänger hat sie gefunden, ja, er wartet auf Sie. Die Frau trieb am Schilf. Ist anscheinend unmittelbar am Ufer ertrunken. Oder ertränkt worden. Kein schöner Anblick. Die Art von Sprüchen, die Liliane wie Küchenschaben gern zerdrückt hätte, die sie aber alle in solchen Situationen sagten, irgendetwas wollte gesagt werden. Die Schönheit der Heide, das Glitzern des Sees, die Weite des Himmels mussten jetzt nicht kommentiert werden. Sie verließen den Pfad, sie trampelten das gelbe Gras nieder, Liliane hörte das Reiben des Stoffes von Andreas’ Hose. Am Rand des Weges konnte man verblasste Sandnelken erkennen und getrocknetes Heidekraut. Liliane kannte diese Pflanzen, sie mochte sie und füllte ihren Blick damit, gleich musste sie sich Fürchterliches ansehen. Ein schöner Ort, der Blausee. Ein Ort, wo an Windtagen Kinder Drachen steigen ließen, junge Paare sich in einer kleinen Bucht verkrochen, um einander am Ufer zu befummeln. Sie schaute zum Himmel hinauf, wo große Wolken sich wälzten und vom Wind zerrissen wurden, Gänse flogen vorbei oder Enten, sie spürte einen starken Impuls zu fliegen und eine Sehnsucht nach Glück, aber ein Blick auf den Typen, der vor ihr lief, löschte jedes Verlangen. Andreas drehte sich um, Gänse oder Enten?, fragte er. Keine Ahnung, murmelte sie, ach ja, sagte er und lief weiter, den Kopf nach hinten gedreht, mit Vögeln kennst du dich nicht aus. Er lachte laut, die anderen drehten sich um und Liliane spürte, wie sie vor Wut und Scham errötete. Sie wünschte sich, gestern Nacht wäre nicht gewesen. Aber gestern Nacht war gewesen. Sie linste auf seinen Hintern, auf den Jeansstoff, so gestrafft, die Naht schien bald zu platzen, der Mann war nicht dick, aber kräftig. Die Bein- und die Armmuskulatur verrieten seine täglichen Kraftübungen. Von nichts kommt nichts, wiederholte er und blies die Bizepse auf. Dennoch wartete der Bauchansatz nur drauf, zuzulegen. Das Bier. Sie wusste, wie er roch, wenn er schwitzte, kannte die Wölbung der Baumwollstretchunterhose, den sauren Duft seiner Achsel in dem gerippten Hemd, der ihr wieder in die Nase stieg, warum, warum ist sie auch mit ihm gegangen, wollte sie denn eine andere Frau sein, eine freie, die einen Tropfen Parfum in ihr Dekolleté gleiten lässt, eine lockere, die weiß, worauf es im Leben ankommt, sie fand sich hier nicht wieder, ich bin nur frei, wenn ich das tue, worauf ich Lust habe, Binsenweisheit, aber wichtige Wahrheit, warum also folge ich diesem einfachen Prinzip nicht, das ich verdammt noch mal seit Jahren verinnerlicht habe. Musste sie Prinzipien untreu werden, die gut und hilfreich waren? Ihre Prinzipien hatte sie sich immer als kleine Freunde vorgestellt, Zwergprinzen, die sie durch das Dickicht des Privat-, Berufs-, Stadt- und Landlebens lotsten. Ohne sie gehorchte man irgendwelchen Kräften, irgendwelchen Einflüssen, man ordnete sich der allgemeinen Blödheit unter. Sie musste schnell die Nacht vergessen, schließlich war es keine Tragödie, nur ein Fehler ihrerseits. Außerdem musste sie sofort diese Gedanken verdrängen, freier atmen, gleich musste sie arbeiten. Ihre drei K waren: kühl, klar, klug.
    Andreas’ Arsch verstellte aber den Horizont. Es war nicht nur Andreas, der sie unglücklich machte, sie war immer noch unfähig, das Leben schlicht und einfach zu genießen, nein, das stimmte nicht, sie dramatisierte einen kleinen Unfall, sie hatte im Lauf der Zeit wieder gelernt, sich zu freuen, sie konnte sich beim Skifahren freuen, sie ging gern spazieren, sie mochte die Natur, das Wasser, die Berge, sie sehnte sich nach entfernten Ländern, sie würde, sobald sie ein bisschen mehr Geld hätte, eine große Reise unternehmen. Ach, auch das stimmte nicht wirklich, in der schönsten Landschaft roch sie manchmal ihre eigene Leiche. Unsinn! Es hatte nichts mit ihrem Beruf zu tun, sie arbeitete gern, Verbrechen aufdecken war sogar eine Befreiung. Und sie lachte gern mit Freundinnen, ging gern in eine Kneipe, ins Kino, ach was, sie hatte keine echten Freundinnen, das Lachen kam aus einer anderen, nicht aus ihr, wie gestern Abend, sie wollte gestern Glück oder ein wenig Leichtigkeit erleben, es hatte kein Glück gegeben, nur eine große Schwere, eine Demütigung, denn sie schämte sich jetzt nur, ihm lustlos nachgegeben zu haben. Sie hatte ihn nie gemocht. Sie war nur geschmeichelt gewesen, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher